Weitergabe von Polizeidaten: Wien geriet in Zwickmühle

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Während Washington zum umstrittenen Abkommen über den Tausch sensibler Daten drängte, war Brüssel skeptisch: Laut internen Papieren empfanden ranghohe EU-Beamte Österreichs Weg als „nicht besonders loyal“.

Wien. Ein umstrittenes Abkommen über den Austausch von Polizeidaten zwischen Österreich und den USA manövrierte Wien in eine handfeste Zwickmühle. Interne, der „Presse“ vorliegende Dokumente aus dem Außenministerium zeigen, dass Wien nicht nur unter Druck aus Washington stand, das mit dem Entzug der Visafreiheit für österreichische US-Reisende drohte. Auch Brüssel hatte eine Meinung zum Abkommen. Und zwar eine negative.

Lange vor Beginn der offiziellen Verhandlungen teilte das Justizministerium dem Außenamt am 23.Dezember 2008 schriftlich mit, was ein Sektionschef in Gesprächen mit der EU-Kommission zum geplanten bilateralen Abkommen erfahren habe. Die Brüsseler Kritik kam vom Leiter der Abteilung „Polizeikooperation und Informationszugang“ in der Kommission, Joaquim Nunes de Almeida. Demnach empfand er die Gespräche Österreichs mit den USA als „nicht besonders loyal“.

EU hätte mehr Gewicht

Hintergrund ist der nach wie vor aktuelle Plan der Kommissarinnen für Justiz und Inneres, Viviane Reding und Anna Malmström, ein Rahmenabkommen für den Austausch jeglicher Daten – u.a. DNA-Spuren, Fingerabdrücke und Terrorlisten – zwischen Brüssel und Washington auszuverhandeln. Die Hoffnung dabei: Als gewichtiger Player könnte die EU mit den USA höhere Daten- und Rechtsschutzstandards vereinbaren, als einzelne Mitgliedsländer.

Im vorliegenden Schreiben an das Außenministerium wiesen Justizressort und Kommission ausdrücklich darauf hin, dass „die Verhandlungsposition der EU durch die Verhandlungen zum gegenständlichen Abkommen in keiner Weise geschwächt oder unterwandert werden soll“. Auch der Vorsitzende des heimischen Datenschutzrates (DSR), Johann Maier, hat im Gespräch mit der „Presse“ schon einmal auf ein solches Abkommen verwiesen. Dennoch wurde der bilaterale Vertrag mit den USA verhandelt und unterschrieben. Was noch fehlt, ist die Zustimmung des Parlaments, das den Vertrag im November auf Druck der Opposition an den Datenschutzrat – und damit zurück an den Start – schickte.

Was niemand dazusagte: Eben dieses, die Bundesregierung beratende Gremium, hat sich schon einmal äußerst kritisch zu dem Vorhaben geäußert. Und zwar ebenfalls vor Beginn der Verhandlungen. Die Stellungnahme liegt im Verhandlungsakt des Außenamts. Darin heißt es: „Eine Übermittlung personenbezogener Daten ist nur zulässig, wenn das Drittland ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet. Insbesondere im Hinblick auf die Rechte des Betroffenen scheint dieser Standard in den USA aus derzeitiger Sicht nicht gewährleistet zu sein.“ Weiters, so der DSR, habe sich Österreich dem Europarat gegenüber verpflichtet, die subjektiven Rechte auf Geheimhaltung, Löschung, Richtigstellung, Auskunft und Überwachung durch unabhängige Kontrollstellen sicherzustellen. Und wieder schreibt der DSR: „In den USA ist all dies nicht gewährleistet.“

Im Vertrag, der neben Fingerabdrücken und DNA-Profilen auch die Weitergabe von Daten über politische Einstellung, sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit und Mitgliedschaften in Gewerkschaften ermöglicht, steht ausdrücklich: „Privatpersonen erwachsen keine Rechte aus dem Abkommen.“ Zwar sagt das Außenamt heute, dass „dem Einzelnen in den USA eine Reihe von vor allem administrativen, aber auch gerichtlichen Rechtsmitteln zur Verfügung“ steht. Andererseits findet sich im Akt desselben Ministeriums eine interne Analyse, in der davon die Rede ist, dass ohne die in den USA nicht vorhandenen Individualrechte für Österreicher „nicht mit einer Zustimmung des Nationalrates“ zu rechnen sei. Trotzdem will man den Vertragstext zur Abstimmung bringen.

Datenschutz in USA „überlegen“?

Wo liegt das Problem? Laut Auskunft von Regierungsjuristen sind die Datenschutzsysteme von Österreich und den Vereinigten Staaten – ohne sie zu werten – nur sehr eingeschränkt miteinander kompatibel. Zwar bezeichnete US-Botschafter William Eacho in einem „Presse“-Interview das amerikanische dem österreichischen System gegenüber als „überlegen“. Andererseits hielt sein eigenes Land in einem als „geheim“ klassifizierten Schreiben an Österreich im Herbst 2010 fest, dass für das Erreichen vergleichbarer Standards US-Gesetze geändert werden müssten – und entsprechende Anpassungen deshalb nicht möglich seien.

Dem österreichischen Einknicken waren beidseitige Interventionen der jeweiligen Botschafter vorangegangen. Vorsprache jagte Vorsprache. Dabei behielten die USA nicht nur wegen des Druckmittels des Entzugs der Visafreiheit die Nerven. Sie hatten sich auch gut auf ihre Verhandlungspartner eingestellt. In mehreren als vertraulich klassifizierten Depeschen beschrieb das Wiener Botschaftspersonal der Regierung in den USA die Akteure. Österreicher seien, so ein kürzlich auf WikiLeaks veröffentlichtes „Cable“ vom 3. Februar 2010, wegen des „Nazi-Erbes“ und den schlechten Erfahrungen mit ehemals kommunistischen Nachbarländern staatlichen Datensammlungen gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt. Ein weiteres Problem würden „uninformierte Kommentare“ von Politikern zu Terrornetzwerken in den Medien sein.

Die amerikanischen Beamten beschrieben die (damaligen) Chefs der an den Verhandlungen beteiligten Ministerien. Kanzler Werner Faymann: konsensorientiert, aber eher an inländischen Themen interessiert. Innenministerin Maria Fekter: Law-and-order-Politikerin mit einem Hang dazu, auch unausgegorene Projekte zu starten. Außenminister Michael Spindelegger: unerfahrener Newcomer, der sich des bilateralen Schadens bewusst sei, den ein Nein Österreichs zum Datentausch bewirken könnte. Bedeutung von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, deren Ressort die Kritik aus Brüssel formulierte: sekundär.

Auf einen Blick

Verhandlungen: Die USA haben mit zahlreichen EU-Staaten Abkommen über den automatischen Austausch von Polizeidatenbanken geschlossen – unter anderem auch mit Österreich. An dem bilateralen Abkommen gibt es heftige Kritik von Datenschützern, die befürchten, dass die USA Zugriff auf sensible Daten bekommen. Interne Dokumente belegen nun auch, dass die EU wenig erfreut über den österreichischen Alleingang ist.

Drohungen: Der Vertragsentwurf ist unter großem Druck der USA zustande gekommen – so wurde mit dem Ende von visafreien Reisen in die USA gedroht.

Fahrplan: Das Abkommen ging auf Wunsch der Opposition ein weiteres Mal an den Datenschutzrat. Im Nationalrat könnte es von SPÖ und ÖVP durchgewinkt werden und im ersten Halbjahr 2012 in Kraft treten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)

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