Altes Vinyl – wie guter Wein

(c) Dapd (Steffi Loos)
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Steht die Schallplatte kurz davor, der CD den Rang abzulaufen? Ein Lokalaugenschein in drei Wiener Plattenläden dokumentiert die Rückkehr des Vinyls.

DJ Laurel aus Minsk trägt ein seliges Lächeln auf den Lippen. Er steht im Lagerraum von Record Shack, einem auf Soul spezialisierten Plattenladen in der Wiener Reinprechtsdorfer Straße. Es ist kalt, Kisten mit alten Vinylplatten stapeln sich fast bis zur Decke. Nicht für jeden der ideale Ort zum Verweilen. Der weißrussische DJ aber stöbert hier bereits seit zwei Tagen unermüdlich nach Italo-Disco aus den 70er-Jahren. Er setzt sich neben eine alte Plattenwaschmaschine, zufrieden, und begutachtet seine Fundstücke.

Für einen Vinylsammler gibt es nichts Schöneres, als in einem verstaubten Keller irgendwo im hintersten Winkel auf eine verschollen geglaubte Platte zu stoßen. Rare Sammlerstücke können auf dem Markt exorbitante Preise erzielen. Frank Wilsons „I do love you (Indeed I do)“, eine Soul-Single, von der es weltweit nur zwei Exemplare gibt, wurde 2009 in England für 25.000 Pfund (30.000 Euro) versteigert. Auch in Österreich hat das Interesse an Vinyl in den letzten Jahren stark zugenommen. 60.000 Platten wanderten im Jahr 2010 über den Ladentisch. Ein Umsatzplus von 20Prozent.

Die Sache mit dem Geschäft habe sich aus der privaten Sammlerleidenschaft „so ergeben“, erzählt Jörg Lauermann, der Besitzer von Record Shack. Irgendwann habe er damit angefangen, seine doppelten Vinyl-Exemplare zu verkaufen. Die Resonanz war so groß, dass er seinen Job als Bautechniker aufgab, um einen Soul-Plattenladen zu eröffnen. Besonders der Northern Soul hat es ihm angetan. Künstlerinnen wie Amy Winehouse und Duffy haben diesem Genre zu neuer Aktualität verholfen, seine Wurzeln liegen aber im England der 70er-Jahre.

„Ich bin besessen davon, altes Vinyl zu spielen“, sagt Lauermann, der als DJ Recordshack den Soul auch unters Wiener Club-Publikum bringt. Den wärmeren, runderen Klang des Vinyls im Vergleich zur CD erklärt er, indem er die unterschiedlichen Klangkurven von digitalen und analogen Tonträgern aufzeichnet. „Eckige Kurve, eckiger Klang, das lässt sich auch auf einer gut gemasterten CD nicht verbergen. Altes Vinyl ist wie guter Wein.“ Und wer will schon einen edlen Tropfen aus dem Tetrapak trinken?

Bei aller Liebhaberei: Der Sinn fürs Geschäft darf einem Plattenladenbesitzer nicht ganz abgehen, wenn er sich für längere Zeit über Wasser halten will. Record Shack und auch der auf Indierock und elektronische Musik spezialisierte Laden Substance Records in der Westbahnstraße beliefern mittlerweile Branchenriesen wie Saturn mit Vinyl.

„Unser größter Trumpf ist ein gut sortierter Back-Katalog“, betonen Thomas Gebhart und Konstantin Drobil von Substance Records. Das heißt, man bietet nicht immer nur die Neuerscheinungen, sondern legt sich ein Lager mit der gesamten musikalischen Biografie einer Band an. Das erfordert ziemliches Fingerspitzengefühl. „Man muss dafür eine Nase haben, welche Sachen auch in Zukunft noch Bestand haben. Da gibt's dann manchmal Diskussionen“, sagt Gebhart mit einem Seitenblick auf Dobril und grinst. Eines sei sowieso klar: „Wer heute einen Plattenladen hat, der muss ein bissl einen Schaden haben.“


Greenhorn. Noch relativ frisch in der Szene ist Christopher Schwaiger. Er betreibt mit seinem Geschäftspartner Peter Fehringer seit knapp zwei Jahren das Tongues in der Theobaldgasse. Die beiden warten mit einem eigenwilligen Konzept auf: der Fusion von Plattenladen und Feinkost. Schwaiger, früher Architekt, jetzt auf elektronische Musik spezialisiert, begegnet dem Vinyl-Revival mit Skepsis: „Es besteht die Gefahr, dass man sich zu sehr darauf verlässt, dass das immer so weitergeht.“ Trotzdem ist er davon überzeugt, dass das digitale Zeitalter seinen Zenit überschritten hat: „Die Leute sind wieder bereit, mehr für Qualität zu bezahlen.“ Mittlerweile seien auch mehr Frauen unter den Kunden, auch DJs. „Frauen haben mehr Gewissen beim Auflegen“, meint Schwaiger. „Sie bereiten einen Gig viel sorgfältiger und ernsthafter vor. Männern geht es oft einfach nur ums Partymachen.“

Ein Urgestein unter den Wiener Plattenläden ist das Rave up Records in der Hofmühlgasse. In der Auslage prangt ein Album mit dem Titel „De guade oide Zeit“. Es ist die Zeit des österreichischen Punkrocks der 70er- und 80er-Jahre, die hier heraufbeschworen wird. Neben Bands wie den Böslingen, Kleenex Aktiv und Drahdiwaberl findet sich auf dem Cover auch Falco. Sein Name ist durchgestrichen. „Da hat der Herausgeber die Rechte wohl nicht bekommen“, meint Werner Schartmüller, der Szene besser als Shorty bekannt. Seit 24 Jahren betreibt er gemeinsam mit seiner Frau Doris das Rave up. „Der Geschmack ist in den letzten Jahren viel breiter geworden“, erklärt er.


Missionarische Ader. „Früher hatten wir hier nur Punk, Soul, Reggae, Blues und New Wave.“ Natürlich ist der Stolz des Ladens das geballte Fachwissen, mit dem man auch dem Kenner der ausgefallensten Nische noch auf Augenhöhe begegnen kann. Mitarbeiter Rainer, „der beste DJ von Wien“, wie Shorty meint, sei zum Beispiel unschlagbar, wenn es um jamaikanischen Reggae geht. Ein Kunde begutachtet die Singles aus Shortys Privatsammlung, die dieser hin und wieder ausmistet und zum Verkauf anbietet: The Stooges, The Ramones, Nico. Manchmal kann sich Shorty eine gewisse missionarische Ader nicht verkneifen: „Wenn mich einer nach The Strokes fragt, drück ich ihm The Stooges in die Hand. Dann kommt der wieder und will mehr von den alten Sachen hören.“ Genau diese Haltung schätzen die Kunden am kleinen, alten Plattenladen: Renitenz, Sendungsbewusstsein und Leidenschaft für Musik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2012)

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