Seligsprechung reißt Kriegswunden auf

(c) EPA (Jaume Sellart)
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522 "Märtyrer des Glaubens" wurden vom Vatikan seliggesprochen. Sie wurden im Bürgerkrieg von linken Milizen umgebracht. Die Opfer der anderen Seite wurden bisher weitgehend ignoriert. Jetzt flammt eine Debatte auf.

Madrid. Es war die größte Massenseligsprechung in der Geschichte der katholischen Kirche und wohl auch eine der umstrittensten religiösen Zeremonien dieser Art. Gleich 522 „Märtyrer des Glaubens“ wurden vom Vatikan in der spanischen Mittelmeerstadt Tarragona seliggesprochen. Bei den „Märtyrern“ handelt es sich um Priester und Ordensleute, die während des spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) von linken Milizen ermordet worden waren. Papst Franziskus, der solche Seligsprechungen absegnen muss, schickte aus Rom eine Grußbotschaft. Darin heißt es, die damals getöteten Priester seien „wegen ihres Glaubens“ ermordet worden.

In Spanien heizte diese Beatifikation, an der in Tarragona 25.000 Menschen teilnahmen, die Debatte über den Umgang mit den Opfern des Bürgerkriegs und der nachfolgenden Rechtsdiktatur von General Francisco Franco an. Vor allem weil die Kirche, die Franco im Krieg und während seiner nachfolgenden Herrschaft zu Diensten war, bisher wenig tröstende Worte für die zehntausenden Opfer der anderen Seite übrig hatte. In den meisten katholischen Gotteshäusern Spaniens findet sich noch das eingemeißelte Diktatur-Glaubensmotto „Gefallen für Gott und für das Vaterland“, mit dem seit Franco-Zeiten an die „Helden“ der eigenen, aber nicht der „roten“ Seite erinnert wird.

Der links stehende Teil der spanischen Gesellschaft wartet bis heute auf eine versöhnliche Geste der Kirche und auch des Staates. Mehr als 100.000 linke Widerstandskämpfer und Oppositionelle waren im und nach dem Bürgerkrieg von Francos Todeskommandos hingerichtet und irgendwo in Massengräbern verscharrt worden. Von den meisten fehlt immer noch jede Spur. Auch rund 30.000 Babys „regimefeindlicher“ Mütter sollen damals, oft unter Mitwirkung von Ordensschwestern, entführt und von linientreuen Familien zwangsadoptiert worden sein.

Spaniens konservative Regierung und die Bischöfe schweigen zu diesem unbewältigten Kapitel. Die Familienangehörigen der Verschwundenen forderten bisher vergeblich, dass die sterblichen Überreste der Franco-Opfer gesucht und einer würdigen Bestattung zugeführt werden. Auch die massenhaften Kindesentführungen wurden kaum untersucht. Genauso wie die lauter werdenden Rufe nach einer „Wahrheitskommission“, die die schweren Menschenrechtsverbrechen aufklären soll, von der Obrigkeit ignoriert werden.

Im Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 sollen bis zu 500.000 Menschen in Kampfhandlungen gefallen sein. Hinzu kommen annähernd 150.000 linke Franco-Gegner, die der politischen Verfolgung zum Opfer fielen. Immerhin regt sich an der Kirchenbasis das schlechte Gewissen. Mehrere katholische Laienorganisationen fordern, „dass die Kirche ihre Verantwortung übernimmt“ und dass die Oberhirten „um Entschuldigung bitten für ihre Kollaboration beim Tod an tausenden Unschuldigen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2013)

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