Islamischer Hiob: „Man muss Gott die Zähne zeigen“

(c) AP (Peter Morisson)
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Navid Kermani, wegen seiner Sätze über das Kreuz kritisiert, hat Tiefgründiges zum Dialog der Religionen beigetragen. Versuche, das Dilemma gütlich zu lösen, sind im Islam verblüffend ähnlich wie im Christentum.

Zwei Christen – der katholische Kardinal Karl Lehmann und der evangelische Ex-Kirchenpräsident Peter Steinacker – haben letzte Woche verhindert, dass der deutsch-iranische Islamwissenschaftler und Schriftsteller Navid Kermani den Hessischen Kulturpreis erhält, der den Dialog der Religionen fördern soll. Ihre Ablehnung begründeten sie mit einem in der „Neuen Zürcher Zeitung“ erschienenen Text Kermanis. Wer ihn – etwa in der „Presse am Sonntag“ – gelesen hat, wird wohl zugeben: Dass ein Moslem so Tiefgründiges über das Kreuz schreibt, sollte für Christen eine Freude sein.

„Der Schrecken Gottes“

Dazu hat just Kermani vor vier Jahren ein Buch publiziert, das in geradezu exemplarischer Weise einen Dialog zwischen den drei monotheistischen Religionen eröffnet hat – oder eben: eröffnen hätte können. „Der Schrecken Gottes – Attar, Hiob und die metaphysische Revolte“ (2005) befasste sich mit dem Stachel im Gottesbild, den alle Monotheismen spüren: mit der Theodizee, der Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Bösen und des Leidens in der Welt. Wie kann Gott zugleich allmächtig und absolut gütig resp. gerecht sein?

Versuche, das Dilemma gütlich zu lösen, sind im Islam verblüffend ähnlich wie im Christentum. „In der sunnitischen Orthodoxie“, so Kermani, „hat sich ähnlich wie im Katholizismus eine Mittelposition durchgesetzt zwischen menschlicher Freiheit und göttlicher Allmacht, die Gott alle Macht und dem Menschen dennoch alle Schuld zuspricht.“

Die offensichtliche Ungerechtigkeit Gottes ist Thema des Buchs Hiob – und die Klage des Menschen darüber, die sich bei Hiob zur Anklage verschärft. Das ist im Koran (21.Sure) nicht der Fall: Hiob klagt, aber er klagt nicht an. Dagegen hält Kermani den „gewaltigsten Ausbruch einer häretischen Frömmigkeit innerhalb des islamischen Kulturkreises“: das von Hiob inspirierte „Buch der Leiden“ des persischen Dichters und Sufi-Mystikers Fariduddin Attar (1136 bis 1220 n.Chr.), ein Hadern mit Gott, mit Sätzen wie: „Man muss Gott die Zähne zeigen, alles andere hilft nicht.“

Oder Verzicht auf die Allmacht?

Von diesem „Protest gegen Gott“ hört Kermani im 20.Jahrhundert einen „gewaltigen Chor“, von Joseph Roths Hiob-Adaption über Albert Camus' „metaphysische Revolte“ bis zum Prozess gegen Gott, den die übrig gebliebenen Mitglieder eines Rabbinatsgerichts in Auschwitz beschlossen.

Den anderen Ausweg aus dem Dilemma der Theodizee hat der jüdische Philosoph Hans Jonas radikal formuliert: Verzicht auf die Annahme der Allmacht Gottes. Damit kann Gott selbst zum Leidenden werden: Die Antwort auf Hiob werde am Kreuz gegeben, schrieb C.G.Jung. Und es ist theologisch nicht absurd, zu sagen, dass Gott Vater mit Gott Sohn gelitten habe. Das ist ein bestürzender Aspekt des Kreuzes, das laut Paulus „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ war. Und dem Moslem, wie Kermani es formulierte, „Gotteslästerung und Idolatrie“ sein kann: „Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundum ab“, schrieb er. Mit ihm versöhnen könne ihn das Altarbild Guido Renis, in dem Jesus, so Kermani, nicht leidet, sondern anklagt: „Nicht warum hast du mich, nein, warum hast du uns verlassen?“

„Eine Kultur erweist dort ihre Stärke“, schreibt Kermani an anderer Stelle, „wo sie die radikale Kritik nicht Außenstehenden überlässt, sondern selbst betreibt, wo sie sogar institutionell gefördert wird.“ Sollte das für das (christliche) Abendland gelten, muss man sich wenig Sorgen darum machen. Und muss seine Verteidigung nicht anmaßenden Politikern überlassen, die ungelenk und unreflektiert mit dem Kreuz fuchteln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2009)

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