Papst im US-Kongress: "Seid keine Sklaven der Finanz"

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Franziskus ermahnt Senatoren und Abgeordnete zum Kampf gegen Armut und Klimawandel, zur Hilfe für Flüchtlinge und Abschaffung der Todesstrafe.

Washington. Ein Appell an den Gemeinsinn, eine Mahnung zum Schutz der Armen und Fremden, ein Aufruf, die soziale Verantwortung des Politikers wahrzunehmen: Papst Franziskus sprach am Donnerstag in seiner Rede vor dem amerikanischen Kongress alle Streitfragen an, die den herannahenden Präsidentenwahlkampf prägen werden.

Allen voran mahnte Franziskus die versammelten Senatoren und Abgeordneten, Höchstrichter und sonstigen Spitzen des amerikanischen Staates, sich von finanziellen Interessen freizumachen. „Wenn die Politik wahrhaftig im Dienste der menschlichen Person sein soll, folgt daraus, dass sie nicht Sklave der Wirtschaft und Finanz sein kann“, sagte er. „Die Politik ist vielmehr Ausdruck unseres überwältigenden Dranges, gemeinsam zu leben, um das größte gemeinsame Gut zu schaffen: eine Gemeinschaft, die Einzelinteressen aufgibt, um das gesellschaftliche Leben in Gerechtigkeit und Frieden zu teilen.“

Diese sozialphilosophische und dem kapitalistischen Individualismus gegenüber kritisch eingestellte Haltung Franziskus, der als Seelsorger jahrelang in den Armenvierteln von Buenos Aires gearbeitet hatte, stellt viele katholische Republikaner vor ein Dilemma: Sollen sie ihren politischen Ansichten folgen oder den Feststellungen des Heiligen Vaters? Sechs der verbliebenen 14 Republikaner, die im kommenden Jahr für ihre Partei als Kandidat um die Präsidentschaft anzutreten hoffen, sind Katholiken. Die meisten von ihnen lösen dieses ethische Dilemma so, wie es der kubanischstämmige Senator Marco Rubio tut: „In moralischen Fragen spricht der Papst mit unglaublicher Autorität. In wirtschaftlichen Fragen ist er aber nur ein Mensch.“

Mit Lincoln gegen den Hass

Der Kongress, an den sich der Papst in seiner rund 55-minütigen Ansprache wandte, ist ideologisch so tief gespalten wie seit dem Bürgerkrieg vor 150 Jahren nicht mehr; der Umgang von Demokraten und Republikanern miteinander ist von Abneigung, Misstrauen und immer öfter von offenem Hass überschattet. Es war insofern bemerkenswert, wie Franziskus seinen Aufruf, im Interesse der Menschen das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, mit Bezügen auf die Ermordung von Präsident Abraham Lincoln und die Nachwehen dieses Krieges verflocht. „Ein guter politischer Führer ist einer, der die Interessen aller im Sinn hat und den Moment in einem Geiste der Offenheit und des Pragmatismus erfasst. Ein guter politischer Führer entscheidet sich stets dafür, Prozesse zu eröffnen, statt Räume in Besitz zu nehmen.“ Er warnte zudem vor der Versuchung des „simplistischen Reduktionismus, der nur Gut und Böse sieht, oder, wenn Sie wollen, die Gerechten und die Sünder“.

Angesichts dessen, dass die Republikaner im Abgeordnetenhaus im Streit um den US-Haushalt nach zwei Jahren wieder mit einem Shutdown, also dem Zusperren der meisten Behörden der Bundesregierung drohen, und weniger als eine Woche Zeit bleibt, um doch noch eine Einigung zu finden, hatte diese päpstliche Botschaft besonders aktuelle Bedeutung.

Aufruf zum Klimaschutz

Der Papst rief die Senatoren und Abgeordneten auch zu Maßnahmen auf, um den Klimawandel zu stoppen: „Wir können das schaffen, ich bin davon überzeugt.“ Viele führende Republikaner akzeptieren die wissenschaftlichen Belege für den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel nicht, die Amerikaner allerdings sind zusehends der Ansicht, dass das ein sehr ernstes Problem ist: 46 Prozent bejahen das laut Umfrage des Pew Research Center, vor zwei Jahren waren es nur 33 Prozent.

Und dieser argentinische Sohn italienischer Einwanderer verknüpfte einen Appell, Flüchtlingen und Einwanderern brüderlich und liebevoll zu begegnen, mit einem Hinweis auf die Herkunft seines Publikums im Kongress: „Wir, die Menschen dieses Kontinents, haben keine Furcht vor Fremden, denn die meisten von uns waren einmal selbst Fremde. Wenn der Fremde in unserer Mitte sich an uns wendet, dürfen wir nicht die Sünden und Fehler der Vergangenheit wiederholen. Das Maß, das wir an andere legen, wird auch jenes sein, welches die Zeit für uns verwenden wird.“

AUF EINEN BLICK

Katholiken sind heute so stark wie nie zuvor an den Spitzen des US-Staats vertreten. Sechs der neun Höchstrichter am Supreme Court, die Vorsitzenden von Senat (Joe Biden) und Abgeordnetenhaus (John Boehner) und 164 Kongressmitglieder (31 Prozent) sind katholisch. Das steht im starken Kontrast zur Feindseligkeit gegenüber dem Papst, die die USA bis ins 20. Jahrhundert geprägt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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