Psychiater übt Kritik an Priesterausbildung

Psychiater uebt Kritik Priesterausbildung
Psychiater uebt Kritik Priesterausbildung(c) Clemens Fabry
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Für Psychiater Reinhard Haller ist Sexualität eine „extrem große Macht“, die durch Verbote nicht zu bändigen ist.

Wien/Bregenz. Sind von oben herab verordnete Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit für Ordensleute und Priester mitverantwortlich für die sexuellen Übergriffe auf Kinder in katholischen Einrichtungen? Eine Frage, die sich bei der Suche nach den Gründen für die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen derzeit viele Stellen. Der Psychiater und Gerichtssachverständige Reinhard Haller sieht jedenfalls einen direkten Zusammenhang zwischen dem Zölibat und einigen nun publik gewordenen Fällen.

„In der Psychiatrie sprechen wir vom sogenannten ,Dampfkesselmodell‘“, sagt Haller. Die Theorie gehe davon aus, dass die Sexualität des Menschen eine „extrem große und schwer kontrollierbare Macht“ sei, die permanent Druck aufbaue. Haller: „Wenn das Ausleben der Sexualität nicht erlaubt ist, liegt es auf der Hand, dass es zum Ausleben von ,Notlösungen‘ kommen kann, die dann auf Kosten anderer gehen.“ Haller räumt zwar ein, dass es keine systematischen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Zölibat und dadurch provozierten sexuellen Missbrauch gebe, verweist aber darauf, dass das „Dampfkesselmodell“ ein in sich schlüssiges theoretisches Modell sei, das zudem nicht nur auf das Ausleben von Sexualität angewendet werde.

Warum aber der Eindruck, dass vor allem katholische Priester und Ordensleute ein schwieriges Verhältnis zu Sexualität haben? Haller: „Fälle von Missbrauch gibt es natürlich auch außerhalb des Katholizismus.“ Einzigartig jedoch sei, dass die Ausbildung der Betroffenen bezüglich Geschlechtlichkeit von der Obrigkeit „sträflich vernachlässigt wird“.

Der Psychiater verweist in diesem Zusammenhang auf einen wegen Missbrauchs angeklagten Priester, den er einst für das Gericht beurteilte. „Der Mann hat mir erzählt, dass während seiner Ausbildung das Thema Sexualität ein einziges Mal auf dem Lehrplan stand. Der Vortragende soll den Seminaristen Folgendes erklärt haben: ,Was wir heute besprechen sollten, wissen Sie ja ohnedies. Also: Nächstes Thema.‘“

Haller ist der Meinung, dass eine bessere Ausbildung über den Umgang mit sexueller Enthaltsamkeit einiges an Problemen verhindern könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2010)

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