Imam-Ausbildung: Allahs Gastarbeiter werden heimisch

ImamAusbildung Allahs Gastarbeiter werden
ImamAusbildung Allahs Gastarbeiter werden(c) Michaela Bruckberger
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Der Großteil der islamischen Prediger in Österreich kommt aus dem Ausland. Mit Lehrgängen sollen sie besser auf das Land vorbereitet werden, doch langfristiges Ziel ist eine eigene Ausbildung für Imame in Österreich.

Es ist eine Ehre und eine Würde.“ Mit ruhiger Stimme erzählt Abdulmedzid Sijamhodzic, warum er es sich antut, jeden Freitagnachmittag hier zu arbeiten. Hier, das ist ein Ecklokal im fünften Wiener Gemeindebezirk. Von außen kaum zu erkennen, zeigt sich beim Eintreten schnell, was sich hinter der unscheinbaren Fassade verbirgt – Teppiche, arabische Schriftzeichen an den Wänden und ein Minbar, die Kanzel, die ein islamisches Gebetshaus kennzeichnet. Hier ist die mazedonische „Orta“-Moschee untergebracht. Und Arbeit, das ist für Sijamhodzic das gemeinsame Gebet, die Predigt, die er Woche für Woche vor rund 150 Mitgliedern hält. Der 32-jährige Bosnier ist hier der Vorbeter – der Imam.

Imam, ein Begriff, der hierzulande gern als islamische Version eines christlichen Priesters verstanden wird. Doch bei allen Übereinstimmungen – so wirklich vergleichen lassen sich die beiden Berufe nicht. Unter anderem schon deshalb, weil Imam eigentlich gar kein Beruf ist. Im sunnitischen Islam wird jener Mann als Imam bezeichnet, der das Freitagsgebet leitet. Ein Mann, der sich gut mit den religiösen Grundlagen auskennt, der von der Gemeinde respektiert wird. Doch eine Kirche oder eine übergeordnete Institution als Arbeitgeber gibt es – in der Regel – nicht.


Barmherziger Gott. Sijamhodzic bekommt für seine Tätigkeit als Imam kein Geld. Seit dreieinhalb Jahren leitet der studierte Jurist ehrenamtlich das Freitagsgebet. Sein Einkommen verdient er als Religionslehrer in Niederösterreich. Die einzige Belohnung, die er sich für seine Arbeit in der Gemeinde erhofft, ist nicht monetärer Natur: „Ich hoffe, dass mir Gott barmherzig ist.“ Im Jenseits. Im irdischen Leben bemüht er sich einfach nur, ein gutes Leben als gläubiger Moslem zu führen.

Sijamhodzic lebte bereits mehrere Jahre in Österreich, als er zum Imam der „Orta“-Moschee ernannt wurde. Er kannte die österreichische Gesellschaft, hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon längst Deutsch gelernt – „aus Filmen mit Untertiteln“. Und seit er zum Doktoratsstudium nach Österreich gekommen ist, hier eine Frau kennengelernt, sie geheiratet und mittlerweile drei Töchter hat, hat er gewusst, dass er auch hier bleiben will.

Damit stellt der Bosnier eher eine Ausnahme dar. Denn ein beträchtlicher Teil der Imame ist nur auf Zeit in Österreich. Die Atib, mit – nach eigenen Angaben – 75.000 Mitgliedern und rund 60 Gebetsstätten der größte muslimische Verband Österreichs, bezieht ihre Imame direkt aus der Türkei. Atib ist der verlängerte Arm von Diyanet, dem türkischen Präsidium für religiöse Angelegenheiten. Von Ankara aus wird der Inhalt der Predigten vorgegeben und von Ankara aus werden die Imame nach Österreich geschickt, die hier für fünf Jahre Dienst machen – als Beamte des türkischen Staates, der sie bezahlt und auch die inhaltliche Linie vorgibt.

Das Problem dabei: Die Männer kennen die politische, wirtschaftliche und kulturelle Situation Österreichs großteils nur aus der Theorie. Viele von ihnen haben auch nur marginale Deutschkenntnisse. Zwar bekommen sie für ihre Tätigkeit relativ leicht eine Aufenthaltsgenehmigung, doch der Zuzug der Familien wurde zuletzt von österreichischer Seite deutlich zurückgestutzt. Dementsprechend gering ist die Motivation, sich hier allzu sehr in das lokale Geschehen einzubringen. Und im Sommer fährt man dann auch lieber heim zur Familie, als hier einen Deutschkurs zu machen.

Um diesen künftigen Imamen einen Einblick in österreichische Gepflogenheiten zu geben, initiierte das Außenministerium vor zwei Jahren einen einwöchigen Lehrgang, bei dem die Geistlichen in Österreich in den wichtigsten Bereichen geschult werden. Dazu gehören etwa das politische und rechtliche System, die Religionen in Österreich und die Struktur der islamischen Community. Denn erst, wenn die Imame über die Mechanismen des Landes Bescheid wissen, können sie Mitgliedern ihrer Moschee adäquate Hilfe geben – und nicht nur Traditionen folgen, die vielleicht in der Türkei zum Erfolg führen würden.


Heimischer Nachwuchs fehlt. Zweimal fand der Lehrgang bereits statt. Doch derzeit kommen nur die von Diyanet entsandten Imame in den Genuss dieser Ausbildung. „Wir haben leider nicht die Kapazitäten, das Programm auf sämtliche Imame auszuweiten“, sagt Sabine Kroissenbrunner, Leiterin der Task Force „Dialog der Kulturen“ im Außenministerium und Initiatorin des Lehrgangs. Unglücklich ist sie auch darüber, dass die derart geschulten Imame nach fünf Jahren wieder zurück in ihre Heimat müssen. Mittelfristig wird man aber noch dieses Modell beibehalten, denn der Imam-Nachwuchs aus Österreich ist noch eher rar.

Zwar gibt es in den Moscheen anderer Organisationen zunehmend Imame, die in Österreich aufgewachsen sind. Doch kommt nach wie vor der Großteil aus dem Ausland – rund 210 zählt die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, die sich um die Visaformalitäten kümmert. Demgegenüber schätzt man die Zahl der österreichischen Staatsbürger, die hier als Imam tätig sind, auf etwa 50.

Erdal Seker ist einer von ihnen. Mit sieben Jahren kam er 1984 aus der Türkei nach Salzburg, absolvierte hier seine Schulkarriere mit Handelsschulabschluss, machte später die Hak-Matura nach – und bildete sich an einem privaten islamischen Institut in Linz in Islamwissenschaften weiter. In Neumarkt am Wallersee half er, einen eigenen Moscheeverein aufzubauen – und ist nun ehrenamtlich dessen Imam, der jeden Freitag vor rund 100 Männern und Frauen predigt. „Und das habe ich auch noch nie bereut.“

Einen akademischen Abschluss hat er nicht. Muss er auch nicht, schließlich ist die Tätigkeit als Imam an keine staatlichen Vorgaben bei der Ausbildung gebunden. Das wäre auch nur schwer möglich, schließlich gibt es in ganz Österreich keine universitäre Bildungsstätte für Imame. Zwar gibt es Lehrgänge für Religionslehrer und das Studium der islamischen Religionspädagogik an der Uni Wien. Doch einen islamisch-theologischen Lehrstuhl, der für die Ausbildung der Imame zuständig wäre, gibt es bisher nur in Form von Willensäußerungen.

„Ein solcher Lehrstuhl muss das langfristige Ziel sein“, sagt Ednan Aslan, Professor für Islamische Religionspädagogik, „denn wir können nicht zulassen, dass eine so wichtige Berufsgruppe aus dem Ausland importiert werden muss.“ In zwei bis drei Jahren, so hofft er, könnte dieses Projekt verwirklicht werden. Bis dahin hat er eine Übergangslösung eingerichtet, mit der Imame Orientierung für ihre Arbeit in Österreich bekommen sollen. „Islam in Europa“ nennt sich der Lehrgang, der im November 2009 startete. „Der Kurs dient dazu, Menschen gezielt in die Mitte der Gesellschaft zu bringen.“ Konkret soll den Teilnehmern vermittelt werden, wie islamische Werte mit der europäischen und säkularen Welt kompatibel sein können.


Vorwurf: Hassprediger. Für besonderes Aufsehen sorgen muslimische Geistliche dann, wenn sie diese Kompatibilität infrage stellen, etwa im Juli 2005, als der bosnischstämmige Imam einer Wiener Moschee in einem „Presse“-Interview meinte, dass sich Islam und Demokratie nicht vertragen würden und islamisches Recht über dem nationalen Recht stehe. Der Begriff „Hassprediger“ hielt damals auch in österreichischen Medien Einzug.

Auch Adnan Ibrahim wurde in Medien schon mit diesem Begriff tituliert. Der Imam der Schura-Moschee in Wien-Leopoldstadt gilt als einer der bekanntesten – und umstrittensten – Imame des Landes. In seinen Predigten, so ein Vorwurf, habe er zum heiligen Krieg aufgerufen und das Märtyrertum verherrlicht. Auch habe er Papst Benedikt XVI. nach dessen Aussagen über den Propheten Mohammed beschimpft. Der gebürtige Palästinenser beteuerte, dass er falsch zitiert und seine Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach einer anonymen Anzeige ergaben keine Hinweise auf eine strafbare Handlung.

Bevor Ende 2006 die ersten Vorwürfe gegen Adnan Ibrahim erhoben wurden, galt er als liberaler Vorzeige-Imam. Unter anderem rief er nach den Terroranschlägen von London 2005 dazu auf, dass jeder Moslem, der von der Planung eines Terroraktes hört, die Sicherheitsbehörden verständigen müsse. Und auch heute ist er bemüht, sich als fortschrittlicher Denker zu positionieren. So beschäftigt sich etwa seine Doktorarbeit am Institut für Arabistik, die er gerade abschließt, mit der Beweisführung, dass der Abfall vom Glauben im Islam keine Sünde, sondern Freiheit des Glaubens ist.


Predigt auf Arabisch. Das dennoch vorhandene Misstrauen gegen Ibrahim mag auch damit zu tun haben, dass er ausschließlich auf Arabisch predigt. Zwar kann er sich im Alltag auf Deutsch unterhalten, doch für theologische Fragen greift er auf seine Muttersprache zurück. Zuhörer, die ausschließlich auf Übersetzungen angewiesen sind, können so viel mutmaßen. Ein Problem, das nach wie vor viele Moscheegemeinden betrifft. Denn allzu häufig erfolgen die Predigten nicht auf Deutsch.

Um diese Situation zu verbessern, startete der Österreichische Integrationsfonds diese Woche eine weitere Maßnahme – einen Deutschkurs für Imame. 37 Teilnehmer aus der Türkei, Ex-Jugoslawien, Pakistan und Ghana werden in insgesamt 64 Unterrichtseinheiten ihre Sprachkenntnisse verbessern. Ein wichtiger Schritt, aber immer noch nur eine Zwischenlösung.

Dass Predigten häufig nicht auf Deutsch erfolgen, wird auch damit begründet, dass die Zuwanderer der ersten Generation nie gut Deutsch gelernt haben. Für sie, so die Argumentation, seien muttersprachliche Predigten wichtig. Mit den kommenden Generationen der Muslime, für die Deutsch immer mehr eine Selbstverständlichkeit ist, sollte dieses Phänomen langsam verschwinden. Und mit den kommenden Imamen, die in Österreich aufwachsen, ausgebildet werden – und sich als echte Österreicher fühlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2010)

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