Symposium: Zwischen Halbmond und Kreuz

Zwischen Halbmond Kreuz
Zwischen Halbmond Kreuz(c) AP (BORIS GRDANOSKI)
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Ein Symposium in Graz beschäftigte sich mit religiöser Intoleranz und Diskriminierung in Europa.

Kärnten versuchte durch bauliche Bestimmungen, die „bösen“ Minarette abzuwenden. Oder: Ein Zeuge Jehovas wird von seinem Arbeitgeber auf Werkvertragsbasis angestellt, da jener fürchtet, sein Unternehmen könnte einer Missionierungswelle anheimfallen. Diese beiden Beispiele lassen das Recht auf Religionsfreiheit in der Praxis zum Wunsch verkümmern. „Ein hoheitlich vorgehender Staat dürfe keine religiösen Inhalte miteinbeziehen“, sagt Christian Brünner, Ex-Politiker und Jurist an der Uni Graz, der Ende dieser Woche zu einer Tagung über religiöse Intoleranz und Diskriminierung geladen hat. Er spricht damit die von vielen Nationen praktizierte Trennung zwischen Kirche und Staat an. Das hätte zur Folge, dass Religionen in ihrer Bindungskraft immer weiter abnehmen. Der staatliche „Schutz vor Religion“ – am Beispiel des laizistisch geprägten Frankreich – weist daher einen eher bitteren Beigeschmack auf.

Zum anderen schaffe aber auch die pluralistische Hereinnahme verschiedener Religionen öffentliche Konflikte, erläutert Brünner. „Allein in Graz gibt es 72 verschiedene religiöse Gruppen, die mit unserer Mainstream-Religion nicht im Einklang stehen.“ Zwischen ihnen gibt es organisationsrechtliche Unterschiede: Die 14 anerkannten Religionen sind im Abgaberecht begünstigt und haben Anspruch auf schulischen Religionsunterricht. Die übrigen Bekenntnisgemeinschaften sind gesetzlich anerkannte religiöse Vereine, die so gut wie keine Rechte besitzen. Brünner: „Diese Unterschiede sind auf die Mitgliederzahl zurückzuführen und widersprechen so dem Gebot der Gleichbehandlung.“

Unter dem im Artikel 14 des Staatsgrundgesetzes vermerkten Satz „Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist jedermann gewährleistet“ versteht Brünner nicht nur die Freiheit im Glauben, sondern auch die Freiheit vom Glauben. Nach der größten Religionsgruppe, den Katholiken, folgt in Graz bereits die Gruppe „ohne Bekenntnis“. Auch ein Patchwork-Glaube, wie Brünner das Herauspicken von Werten und Haltungen aus verschiedenen Glaubensrichtungen nennt, müsse möglich werden – sofern er nicht mit gesetzlichen Vorgaben bricht.

Viele Gefahren für die Religionsfreiheit stehen auch im Zusammenhang mit der Anti-Sekten-Bewegung. „Das verzerrte Bild von Massenselbstmorden oder archaischen Opferritualen lässt alle neuen religiösen Bewegungen zu gefährlichen Sekten mutieren“, so Brünner. Unter Aufsicht des Wirtschaftsministeriums (BMWFJ) wurde eine Bundesstelle für Sektenfragen eingerichtet, die dokumentieren und informieren soll, ob und wann eine „Sekte“ gefährlich sei.

Das kann sie aber nur zum Teil: Der negativ konnotierte Begriff „Sekte“ ist zum gültigen Rechtsbegriff geworden, müsste „richtigerweise neue religiöse Bewegung heißen“, sagt deren Leiter German Müller. Er und Brünner weisen darauf hin, dass „es kein solches säkulares Feststellungsverfahren bzw. Kontrollorgan gibt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2010)

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