Zeugen Jehovas: Wenn aus Sekten Religionen werden

Zeugen Jehowas Wenn Sekten
Zeugen Jehowas Wenn Sekten(c) APA (Georg Hochmuth)
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Nach der rechtlichen Anerkennung als Glaubensgemeinschaft 2009 als 14. Religionsgesellschaft in Österreich ist es um die Zeugen Jehovas ruhig geworden. Nur die Kritiker wollen nicht verstummen.

Mehr als 30 Jahre haben die Zeugen Jehovas um die Anerkennung als 14. Religionsgesellschaft in Österreich gekämpft – und nun, ein Jahr nach ihrem rechtlichen Erfolg, nutzen sie viele der Vorteile gar nicht: keine Seelsorge beim Militär – weil sie den Wehrdienst verweigern. Kein Religionsunterricht an Schulen – weil die religiöse Erziehung in erster Linie den Eltern und später der Gemeinde obliegt. Kein Kirchenbeitrag – weil man weiterhin vom Spendengeld der Mitglieder leben will.

Nicht einmal die Zahl der Gläubigen ist sprunghaft angestiegen, sondern wie in den Vorjahren um etwa 100 auf mittlerweile 20.862 angewachsen.

Folgenlos war die rechtliche Anerkennung für die Zeugen Jehovas dennoch nicht, meint Pressesprecher Roland Solderer: „Was sich geändert hat, ist die Außenwahrnehmung. Unsere Kinder werden nicht mehr als ,Sektenkinder‘ beschimpft.“ Auch in einigen praktischen Dingen hat es Änderungen gegeben. Beim Neubau eines Königreichssaals in Pressbaum bei Wien sei der Umgang mit den Behörden einfacher gewesen. Außerdem können nun Seelsorger Patienten in Krankenhäusern besuchen.

Mehr Werbung? Mehr Druck?

Kritiker sehen darin jedoch eine Möglichkeit, Druck auf Patienten auszuüben, dass sie auf die verbotenen Bluttransfusionen verzichten. Auch in anderen Punkten sehen sie Verschlechterungen: So sei die Werbestrategie noch intensiver geworden, berichtet Martin Felinger von der Gesellschaft für Sekten und Kultgefahren. Auf einem niederösterreichischen Friedhof seien die Angehörigen jüngst Verstorbener gezielt kontaktiert worden, was verboten sei. Die Angesprochenen hätten sich an seine Beratungsstelle gewendet, da sich die Zeugen Jehovas auch durch mehrmaliges Auffordern nicht hätten abwimmeln lassen.

Auch andere Probleme seien heute „keinen Millimeter anders als vorher“, so Felinger: In seiner Selbsthilfegruppe für ehemalige Kultmitglieder würden Zeugen Jehovas nach wie vor von sozialer Isolation nach ihrem Ausstieg berichten. Darauf angesprochen rechtfertigt sich Roland Solderer – wie in vielen anderen Punkten – mit der Bibel, für die die Zeugen Jehovas eine andere Übersetzung haben als christliche Konfessionen: „Man soll keinen Umgang mehr mit jemandem haben, der aufgehört hat, gemäß der Bibel zu leben.“ Solche Standpunkte könne man nicht aufgeben, nur weil sich in einem Land die Rechtsform ändere.

AUF EINEN BLICK

Die Zeugen Jehovas wurden Ende des 19. Jahrhunderts in den USA gegründet. Einer ihrer Mitbegründer war Charles Taze Russel. Der Öffentlichkeit sind sie durch ihre ausgeprägte Missionstätigkeit bekannt. Zudem vertreiben sie die Zeitschriften „Der Wachturm“ und „Erwachet“. Seit 2009 sind sie in Österreich eine anerkannte Glaubensgemeinschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2010)

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