Kremsmünster: "Für immer etwas kaputtgegangen"

Kremsmuenster Fuer immer etwas
Kremsmuenster Fuer immer etwas(c) APA/RUBRA (RUBRA)
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Nach dem Jahr der Missbrauchsfälle: Innenansichten aus dem Stift Kremsmünster. Was "das System" damit zu tun hatte, wie die Ordensgemeinschaft über sich selbst urteilt, und was die Schüler im Stiftsgymnasium denken.

Pater A. unterrichtete Musik und Religion, er war langjähriger Leiter des Stiftsinternats von Kremsmünster und galt als exzellenter Lehrer und hervorragender Pädagoge. Bis zum vergangenen Winter, als die Welle kam. Es begann mit Missbrauchsskandalen in den USA und Irland und endete in einer globalen Kirchenkrise gefolgt von Aufarbeitungs- und Entschädigungsversuchen, die es in dieser Form bisher so nicht gegeben hatte.

Am 13.März2010 erreichte die Welle Kremsmünster. Der erste Vorwurf gegen Pater A. wegen sexuellen Missbrauchs wurde an diesem Tag öffentlich, und damit das „Annus Horribilis“ der jüngsten Kirchengeschichte auch zum Schreckensjahr des Stifts Kremsmünster.

An das Schultor schmierte damals jemand „Kinderschänder“, es gab plötzlich keine Anmeldungen zu Führungen durch die Museen und zur Sternwarte des Stifts mehr, selbst in der Weinkellerei ging der Absatz schlagartig um 40Prozent zurück. Erst vor Weihnachten normalisierte sich die Lage langsam wieder, für viele Ordensmitglieder sitzt der Schock aber noch immer tief.

Eine der Anzeigen, die die von Kardinal Christoph Schönborn eingesetzte Opferschutzkommission an die Staatsanwaltschaft übergeben hat, soll dem Vernehmen nach den 77-jährigen Pater aus Kremsmünster betreffen. Zwei weitere Kremsmünsterer Patres wurden des sexuellen Missbrauchs beschuldigt, ihre Verfahren jedoch eingestellt, weil die Taten, die ihnen zugrunde liegen, verjährt oder strafrechtlich nicht relevant sind. Weil sie psychische Gewalt ausgeübt hatten, wurden schließlich noch zwei weitere Patres suspendiert.

Am Dienstag sollen die Zahlen der Kirchenaustritte für das Jahr 2011 präsentiert werden. Es werden mehr sein als die 53.216 im Jahr 2009, als der verhinderte Weihbischof der Diözese Linz, Gerhard Maria Wagner, mit seiner Auffassung von Homosexualität als Krankheit und Naturkatastrophen als Strafe Gottes verstört hat. Und als die umstrittene Entscheidung von Papst Benedikt XVI. zur Aufhebung der Exkommunikation von vier Mitgliedern der Piusbruderschaft, darunter Richard Williamson, ein öffentlicher Holocaust-Leugner, für Aufsehen gesorgt hat. Allein in Wien gab es im Vorjahr 47Prozent mehr Austritte als noch 2009. Insgesamt werden es etwa 80.000Menschen sein, die 2010 aus der katholischen Kirche ausgetreten sind – viele von ihnen wegen Priester wie Pater A.

Seine Causa ist weiterhin im Landesgericht Steyr anhängig. Er lebt nun zurückgezogen hinter den barocken Klostermauern, nimmt nicht an den gemeinsamen Mahlzeiten und Feiern teil und ist von der Seelsorge enthoben. Sein Kontakt und jener der anderen betroffenen Patres mit der Außenwelt seien sehr beschränkt, sagt Pater Bernhard, der Sprecher des Stifts.

Er ist Novizenmeister und unterrichtet Religion, Geografie und Italienisch im Freifach. Es ist gerade Pause, als er das Schulgebäude am Ende eines schmalen Wegs durch einen parkähnlichen Innenhof betritt. Der 39-Jährige gilt als beliebter Lehrer, einer, mit dem man immer reden kann. Er hat in Salzburg, in den USA und in Rom studiert und trat erst mit 29 in den Orden ein. Eine gewisse Lebenserfahrung sei für den Job nicht schlecht, meint er. „Es gab hier eine Art Elitenbildung, die ausgeblendet hat, was nicht so gut war. 2010 war die Zeit, diese dunklen Seiten zur Kenntnis zu nehmen und aufzuhören, alles zu verklären.“

Nicht alle sehen es wie Pater Bernhard. Insgesamt 60 Mönche leben im Konvent, nur 15 davon sind jünger als 50. Manche der Älteren meinen, es sei nun genug geredet und um Verzeihung gebeten worden, man dürfe nicht alles schlechtmachen, was war. Pater Bernhard sagt, es werde noch viel zu wenig offen geredet, allgemein, nicht nur im Kloster. Er spricht von der „Gefahr geschlossener Systeme“, von der Odenwaldschule in Deutschland, von den tollen Onkeln und den großartigen Sportlehrern, die Missbrauch begehen, von fehlender Sensibilität gegenüber den Folgen von Gewalt.

Als die Welle kam, war er seit drei Jahren als Sprecher des Stifts im Amt. Heute kann er der Krise auch Gutes abgewinnen. „Wir sehen, dass Wahrheit befreiend sein kann. Möglicherweise ist das Bild von Priestern und Ordenshäusern jetzt ein schlechteres, aber auch ein realistischeres. Es geht jetzt darum, was war, und die Strukturen, die dazu geführt haben, ans Licht zu bringen.“ Gerüchte habe es immer gegeben, nur ernst genug habe sie keiner genommen. „Sexueller und körperlicher Missbrauch sind ein prinzipielles Problem hierarchischer Systeme“, meint Pater Bernhard. „Militär, Internat, Erziehungseinrichtung, Konvikt: Wenn es zu wenig Öffnung nach außen gibt, wird den Opfern nicht geglaubt, weil man die Leute kennt und jeder sich denkt, nein, der ist nicht so, das kann nicht sein.“

Das dachte vor dem 13.März 2010 auch noch Pater Siegfried. Der heutige Kellermeister des Stifts ist selbst Altkremsmünsterer, nach dem Stiftsgymnasium studierte er Theologie und Betriebswirtschaftslehre und trat anschließend in das Kloster ein. Er kannte Pater A. als Lehrer und arbeitete später mit ihm fünf Jahre im Internat zusammen. „Es hat uns überrannt. Von da an war nichts mehr, wie es einmal war. Es herrschte die pure Ratlosigkeit.“

In der Stiftskellerei, die rund 200.000 Liter Wein im Jahr produziert, ist der Umsatz zwischen März und Oktober um 40 Prozent zurückgegangen. Noch Wochen nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe war das Kloster, das jährlich 30.000 bis 40.000 Besucher durch seine Museen, in die Sternwarte und durch seinen Klosterladen führt, „wie von der Welt abgeschnitten“, wie eine Mitarbeiterin sagt.

Zum Jahreswechsel konnten die Verluste teilweise wieder wettgemacht werden, Kellerei und Führungsbetrieb haben sich vom Schock des „Annus Horribilis“ erholt. Pater Siegfried ist noch nicht so weit. „Ich bin noch dabei, es zu verarbeiten. Ehrlich gesagt, ich pack es noch nicht.“

21.000 Flaschen Trockenbeerenauslese und Eiswein müssen für eine deutsche Handelskette auf Paletten geladen werden. Pater Siegfried fährt die Kisten mit dem Gabelstapler zum Eingangstor und kontrolliert die Ware. Als er 2005 die Kellerei übernahm, richtete er 20Hektar in den Wachauer Anbaugebieten des Stifts Kremsmünster neu aus, modernisierte die Etiketten und das Marketing. Im Degustationsraum mit dem alten Deckengewölbe und den Backsteinen an den Wänden kühlen Cuvées aus Sauvignon Blanc, Gelbem Muskateller und Grünem Veltliner, eine neue Marke, der Novitius, und Blaufränkischer. Pater Siegfried ist heute 43 Jahre alt und war Schüler, als Pater A. die Übergriffe begangen haben soll. Selbst sei er nie belästigt worden. „Ich war aber auch nicht musikalisch“, sagt er und lächelt bitter. Es sei an diesem 13.März „etwas für immer kaputtgegangen“, für ihn, für das Kloster und in der Gemeinschaft. 1977 trat er in das Gymnasium ein, obwohl er der ältere Sohn war und eigentlich den Bauernhof seiner Eltern in Eferding hätte übernehmen sollen, wo Gemüse und Erdbeeren angebaut und Schweine gezüchtet wurden.

Weil er aber, wie er sagt, „der Talentiertere für die Schule war, und mein Bruder der Talentiertere für die Landwirtschaft“, sei es anders gekommen. „Hätte man mich vor einem Jahr gefragt, ob ich alles im Leben noch genauso machen würde, hätte ich, ohne zu zögern, mit Ja geantwortet“, sagt er über seinen Eintritt in den Orden. „Heute müsste ich darüber nachdenken, was ich antworte.“ Offensichtlich habe es unter den Schülern völlig unterschiedliche Sichtweisen gegeben. „Das Einzige, was ich gehört habe, war: ,Pater A. ist schwul.‘ Und: ,Pater A. hat versucht, einen Schüler zu küssen.‘“ Nun denkt Pater Siegfried darüber nach, was anders hätte laufen müssen. „Eines habe ich gelernt. Jedem Hinweis und jedem Verdacht, und sei er auch noch so vage, muss man nachgehen.“

Derzeit läuft eine interne Untersuchung. Es soll geklärt werden, wer tatsächlich etwas gewusst und welche Gerüchte es konkret gegeben hat. Die Ergebnisse sollen in den nächsten Monaten präsentiert werden. Felix Fein, der in diesem Jahr am Stiftsgymnasium maturiert, glaubt, dass die Schule nicht besser oder schlechter sei als andere: „Man muss unterscheiden zwischen heute und vor 30 Jahren.“ Noch immer gebe es mehr Anmeldungen, als an der Privatschule aufgenommen werden können. Und auch nach dem 13.März 2010 wurde keiner der rund 400 Schüler abgemeldet. „Vielleicht denken viele: ,Lieber gebe ich mein Kind in eine Schule, wo auch Missbrauch bewusst aufgearbeitet statt unter den Teppich gekehrt wird‘“, meint Pater Bernhard. Für die Opfer von Pater A. kommt diese Einsicht wohl zu spät.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

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