Das Ende der Event-Pilger

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Während die Zahl der Pilger gleich bleibt, schrumpft die Infrastruktur in Österreichs kleineren Wallfahrtsorten. Warum Devotionalienhändler und Pilgerwirte um ihr Leben kämpfen müssen: Ein Lokalaugenschein.

Gertrude Ulmer hat vorgesorgt – mit Kruzifixen und Spritzpistolen, mit Weihwasserbecken, Taschenmessern und Plastikdinosauriern. Ganz gleich, welche Konsumbedürfnisse die hunderten Wallfahrer mitbringen, die morgen, zum Fest von Maria Himmelfahrt zur Basilika von Maria Dreieichen kommen werden: An Ulmers Devotionalienstand, dem ersten in einer Reihe von zehn identisch großen Läden entlang der Bundesstraße, die durch den Wallfahrtsort führt, kann sie sie mit Waren jeder Art stillen – von christlichen Symbolen über touristische Souvenirs wie die legendären „Namenshäferln“ bis hin zu Kinderspielzeug.

Seit 61 Jahren steht Ulmer die ganze Wallfahrersaison über von Ostern bis November in dem Stand, den vor ihr schon ihre Mutter betrieben hat, aber das Geschäft läuft – man erkennt es schon daran, dass die Regale vor Angebot fast überquellen – schlechter und schlechter. Kommen immer weniger Gläubige zu der Waldviertler Basilika, wenige Kilometer außerhalb der lokalen Metropole Horn? „Nein. Aber sie haben sich verändert“, sagt Gertrude Ulmer – und an ihrem Gesichtsausdruck kann man ablesen, dass es keine Änderung zum Guten gewesen sein dürfte.


Verkaufen „aus Idealismus“. „Früher sind die Wallfahrer immer den ganzen Tag über hier geblieben“, erzählt die alte Verkäuferin – sie wären im Pfarrverband oder mit der Familie gekommen, hätten zunächst die Messe gefeiert, sich dann in einem der sieben Gasthöfe rund um die Basilika bewirten lassen, bevor sie zu einer der anderen Attraktionen des Ortes spaziert wären – dem Marienbründl etwa, oder der bei Kindern beliebten „Graselhöhle“. Und dazwischen seien sie eben bei den Ständen von Ulmer und ihren Kollegen stehen geblieben, um sich Andenken zu kaufen – ein Kreuz für den Herrgottswinkel, zumindest einen Rosenkranz.

Aber diese Zeiten sind vorbei – und wenn es stimmt, dass der Markt immer recht hat, dann verheißt das nichts Gutes für die Zukunft des Wallfahrtsortes: Von den zehn Verkaufsständen sind nur noch drei übrig geblieben – und das, sagt eine andere Verkäuferin, „nur noch aus Idealismus“, denn leben könne man von dem Geschäft mit den Wallfahrern nicht mehr. Auch die Wirte mussten Federn lassen: Von den sieben Gasthöfen in Dreieichen sind nur noch zwei in Betrieb. Der ganze Ort wirkt heruntergekommen, eine Geisterstadt voller vernagelter Souvenirstände und verfallener Wirtshäuser. Man wäre nicht überrascht, wenn im nächsten Moment ein Strohballen über die Straße geweht würde.

Wenn da nicht die Basilika wäre. Gut gepflegt wirkt die Kirche, die um das Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes herumgebaut wurde, das seit mehr als 350 Jahren Pilger anlockt: Die ist nämlich adrett restauriert und zieht sogar unter der Woche Gläubige an, die hier verweilen.

Gemessen an dem wichtigsten österreichischen Pilgerziel Mariazell, dessen Basilika jährlich rund 1,5 Millionen Besucher zählt, ist Maria Dreieichen ein kleiner Wallfahrtsort: Zwischen 20.000 und 30.000 Menschen feiern jährlich hier, an der Grenze zwischen Wein- und Waldviertel, schätzt Robert Bösner. Der Benediktiner ist Wallfahrtsrektor der Basilika, er kennt die Situation in Dreieichen seit 27 Jahren, knapp halb so lange wie Gertrude Ulmer. Und er teilt ihren Befund: Das Konzept der Wallfahrt erlebt gerade einen Paradigmenwechsel.

Nicht, dass die Pilger weniger würden, wie man angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen der Kirche vermuten könnte – nein, die Zahl der Wallfahrten nach Maria Dreieichen sei mit 150 angemeldeten Wallfahrergruppen seit Jahren stabil, sagt Bösner.

Eine Einschätzung, die man in der Diözese St. Pölten teilt – und zwar für alle Pilgerziele, sagt Hans Pflügl, Pressereferent der Diözese, der gerade an deren Wallfahrerjahrbuch arbeitet. „Die Hälfte unserer Pfarren geht dieses Jahr auf Pfarrwallfahrt“, sagt Pflügl – ob in Richtung großer Wallfahrtsorte wie Mariazell, kleinerer wie Maria Taferl, Dreieichen oder Sonntagsberg oder zu den vielen „versteckten“ Pilgerzielen wie Lourdesgrotten oder Marienbrunnen im ganzen Land; die Teilnahme daran sei ungebrochen.


Weg vom Eventcharakter. In Maria Dreieichen erklärt sich das Pater Bösner damit, dass Wallfahrtsorte „der Sitz der Volksfrömmigkeit“ sind – und die habe mit der „öffentlichen oder veröffentlichten Meinung“, dass der Glaube an Bedeutung verliere, nur wenig zu tun. Es stimme zwar, sagt Bösner, dass die Wallfahrergruppen heute großteils aus älteren Teilnehmern bestünden – aber viele Junge kämen als Individualreisende, um hier zu beten, und nicht mehr mit der Gruppe.

Dieser Trend – der sich ja auch in den zahlreichen Jakobsweg-Beschreibungen und Dokumentationen der vergangenen Jahre manifestierte – ist freilich insofern einzigartig, als sich hier eine Tradition nicht in ein „Event“ verwandelt, sondern eben in die entgegengesetzte Richtung: „Gerade für jüngere Pilger ist die Wallfahrt ein Weg zur Selbsterkenntnis“, sagt Pflügl – „die machen das nicht mehr in der großen Gruppe, sondern eben alleine“.

Eine Änderung, die die Kirche hinnimmt – die aber jenen schadet, die bisher im Umfeld von dem „Event“ Wallfahrt gelebt haben: Ein Rucksacktourist, der allein nach Maria Dreieichen kommt, hält sich eben nicht so lange auf, dass er in Versuchung geriete, sich bei den Verkaufsständen Souvenirs zu kaufen. Und die Pilgergruppen, die ja trotzdem noch kommen? „Die haben es mittlerweile eilig“, sagt Gertrude Ulmer, „die steigen aus ihren Bussen, gehen in die Kirche und fahren sofort weiter“ – Pilgern sei eine stressige Angelegenheit geworden. Ulmer ist das mittlerweile egal: Sie wird ihren Stand in „ein, zwei Jahren zusperren“. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

Wallfahrten oder Pilgerreisen sind traditionelle Reisen zu religiös bedeutsamen Stätten, um ein kirchliches Gebot zu erfüllen, für einen bestimmten Umstand zu danken oder um etwas zu erbeten.

Im engeren Sinn bezeichnet eine „Wallfahrt“ vor allem eine organisierte Reise mehrerer Gläubiger nach einem bestimmten Ritus, während das „Pilgern“ üblicherweise allein unternommen wird. Letzteres liegt derzeit im Trend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2011)

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