„In Nigeria ist eine Christenverfolgung im Gang“

Symbolbild
Symbolbild(c) REUTERS (AKINTUNDE AKINLEYE)
  • Drucken

Der katholische Prälat Obiora Ike berichtet der "Presse" in einem Interview von den Angriffen islamischer Fundamentalisten auf Christen. Situation sei sehr ernst. Eine regelrechte Christenverfolgung sei im Gang.

Die Presse: Prälat Ike, wie ist derzeit die Situation in Nigeria?

Obiora Ike: So etwas hat Nigeria in diesem Ausmaß noch nie erlebt: Am vergangenen Freitag gab es gleichzeitig 20 koordinierte Bombenanschläge im Land. Am Sonntag sind wieder zwei unserer Kirchen von der radikal-islamischen Boko-Haram-Sekte in die Luft gesprengt worden. Die Zielscheibe war klar: Man wollte dabei die Christen ins Mark treffen. Viele Gläubige sind nun traumatisiert. Sie trauen sich gar nicht mehr aus ihren Häusern, geschweige denn, in eine Kirche zu gehen.

Müssen Ihre Gläubigen auch in Zukunft um ihr Leben fürchten?

Die Situation ist sehr ernst. Überall, wo wir uns versammeln, kann es lebensgefährlich werden. Seit einem Jahr gibt es gezielte Angriffe. Eine regelrechte Christenverfolgung ist im Gang.

Was werden die Christen nun tun – alle auswandern?

Viele von ihnen werden mit Hab und Gut in ihre ursprünglichen Heimatdörfer im Süden zurückgehen, wo bereits rund 10.000 Flüchtlinge um ihr Überleben kämpfen. Der mehrheitlich muslimische Norden ist – zumindest derzeit – nicht im Stande, ihnen ausreichen Schutz und Sicherheit zu bieten.

Wie hat sich Präsident Goodluck Jonathan zu den blutigen Anschlägen der Boko-Haram-Sekte geäußert?

Er hat die Bombenleger und deren Umfeld aufs Schärfste verurteilt. Als christlich geprägter Politiker ist ihm diese fundamentalistische islamistische Sekte ohnehin ein Dorn im Auge, da diese in Nigeria mit einem Schlag die junge Demokratie zerstören und einen islamischen Gottesstaat errichten will. Ausgerechnet in einem Land, wo fast jeder Zweite ein Christ ist.

Wie schätzt der Präsident die Situation ein?

Er hat neulich anklingen lassen, dass der Feind auch in den höheren Etagen der Politik sitzt. Außerdem werden viele Polizisten, die eigentlich für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen müssten, von der Sekte stark beeinflusst.

Wissen Sie Näheres über diese Sekte?

Seit rund einem Jahr wütet sie bei uns im Land. Sie ist eng verwandt mit dem al-Qaida-Terrornetzwerk und lehnt alles Westliche strikt ab. Was die wenigsten wissen: Seit dem Umsturz in Libyen sind etliche Gaddafi-treue Soldaten nach Nigeria geflüchtet. Die Sekte hat diese Männer dankbar aufgenommen.

Hat ein Dialog überhaupt einen Sinn?

Mit den moderaten Muslimen, ja! Den Dialog werden wir mit ihnen fortsetzen. Daran führt kein Weg vorbei. Diese könnten möglicherweise eine Brücke zur Sekte schlagen.

Kann Europa zur Entspannung der Lage beitragen?

Die europäischen Regierungen sollten unserer fragilen Demokratie den Rücken stärken, sie unterstützen. Wir brauchen dringend auch humanitäre Hilfe in den Flüchtlingslagern.

Zur Person

Obiora Ike ist ein katholischer Geistlicher und Menschenrechtsaktivist in Nigeria. Im Oktober 2002 entging er selbst nur knapp einem Mordanschlag. Er studierte unter anderem in Innsbruck Philosophie, Politikwissenschaft und Theologie. In Vorarlberg wurde er 1981 zum Priester geweiht. [Archiv]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.