Die christlichen Assyrer zu Wien

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Symbolbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine Minderheit in der Minderheit: Die meisten Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche in Wien stammen aus der Türkei. Zu der offiziellen Vertretung ihrer alten Heimat haben sie ein ambivalentes Verhältnis.

Mehl, Ei, Butter, die üblichen Zutaten eben, aber hier ist auch Zimt drin, Anis, Nelken und ein anderes orientalisches Gewürz, dessen deutscher Name Lydia Aydin partout nicht einfallen will. Wie die hellgelben Osterpinzen, mit denen derzeit die verglasten Bäckereitheken ausgestattet sind, schmeckt das Gebäck von Lydia Aydin jedenfalls nicht. Ihr Osterkuchen nennt sich „kilice“ und stammt aus dem Südosten der Türkei – so wie Lydia und ihr Mann, Emanuel Aydin.

Das Paar empfängt seine Gäste in einem denkmalgeschützten Hietzinger Haus mit knarzender Holzstiege, opulenten Orientteppichen und eingerahmten Bildern von christlichen Würdenträgern in Soutane und Talar. Besucher gehen hier täglich ein und aus, denn Emanuel Aydin ist Chorepiskopos (Chorbischof) der syrisch-orthodoxen Kirche in Österreich – und somit zentrale Figur einer kleinen christlichen Gemeinde, die mehrheitlich aus türkeistämmigen Mitgliedern besteht. Aus der Türkei kennt man denn auch die anderen Osterspeisen, die der Chorbischof detailreich beschreibt, während er in sein Arbeitszimmer führt: sütlaç (Milchreis) und lebeniye (Joghurtsuppe).

Seit nunmehr 38 Jahren steht Aydin jener Gemeinde vor, die er mitbegründet hat – und die Schätzungen zufolge 5000 Mitglieder in Österreich zählt; die meisten stammen aus den Städten Diyarbakir, Midyat und Mardin unweit der syrischen Grenze. Ihre Emigrationsgeschichte unterscheidet sich nur auf den ersten Blick nicht von jener der muslimisch-türkischen „Gastarbeiter“, die ab den 1960er-Jahren nach Österreich gekommen sind: „Freilich haben ökonomische Gründe eine Rolle gespielt“, sagt der 64-jährige Chorbischof dazu. Aber noch gewichtiger waren die mühsamen Lebensumstände: „Wir wurden damals nicht geschützt“, sagt Aydin mit Blick auf die Diskriminierung der Minderheiten in der Türkei.

Und: „Menschen ziehen nicht grundlos von ihrer Heimat weg. Da muss viel passieren.“ Dass Mitglieder seiner Gemeinde unfreiwillig muslimische Namen wie Ramazan oder Mehmet tragen zum Beispiel. „Dieser Name geht nicht“, wurde ihnen von türkischen Beamten gesagt, wenn sie ihre Kinder Christian nennen wollten, erzählt Aydin. Die „fanatische Atmosphäre“ habe schließlich dazu geführt, dass heute kaum mehr Glaubensgenossen in jenem Land leben, in dem diese Kirche ursprünglich entstanden ist.

Kaltes Wetter.
Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien (heute Antakya) gehört zu den altorientalischen Kirchen. Der Patriarch sitzt in Damaskus, der für Österreich zuständige Patriarchalvikar im schweizerischen Arth. Die Wiener Gemeinde betreibt in Floridsdorf ein Kulturzentrum und eine Kirche, wobei Letztere als Provisorium betrachtet wird. Im Mai soll direkt daneben der Spatenstich für ein neues Gebäude erfolgen. Das Grundstück ist zwar gekauft, Geld für den sakralen Bau fehle aber noch.

„Eigentlich erwarte ich, dass wir finanzielle Unterstützung  auch von der Türkei bekommen“, sagt Aydin. Aber gerade die Beziehungen zur offiziellen Vertretung des Landes seien oft belastet. Besonders dann, wenn der Völkermord an den christlichen Armeniern zur Sprache kommt (1915/1916): Denn die Türkei negiert einen Genozid. Zumindest die aktuelle Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan habe einen demokratischen Öffnungsprozess gestartet, von dem auch die Minderheiten profitieren würden. „Die Frage ist aber“, meint Aydin, „wer geht wieder zurück?“ Die jüngeren Generationen – über 90 Prozent der Gemeindemitglieder haben die österreichische Staatsbürgerschaft – hätten sich in der Diaspora eingelebt. Nur die Ältesten würden sich über das kalte Wetter in Österreich beschweren.

Die Verbindungen zur alten Heimat haben aber die wenigsten ganz abgebrochen. Urlaube würden sehr wohl in der Türkei stattfinden – und auch zur türkeistämmigen Community in Österreich pflege man gute Kontakte. Der Chorbischof werde auf türkisch-muslimische Hochzeiten eingeladen, oder er bekomme Besuch von Vertretern der türkisch-alevitischen Gemeinschaft. Die Integrationsdebatte rund um die türkische Community verfolge man freilich, sagt Aydin. Zum einen dürfe das Land nicht vergessen, dass die Emigranten aus der Türkei bewusst nach Österreich geholt worden sind; zum anderen fehle innerhalb der Community oft der Anpassungswille. Probleme wie etwa fehlende Sprachkenntnisse würden aber nicht nur die türkisch-muslimische Gemeinschaft betreffen, sagt Aydin. Auch in seiner Gemeinde kämpfe man mit dem einen oder anderen Integrationsproblem.

Für sein eigenes soziales, kulturelles und religiöses Engagement jedenfalls wird Aydin Ende April das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Zuvor aber muss sich der eloquente Chorbischof – zwischendurch hat er am Telefon auf Deutsch, Arabisch und Türkisch parliert – auf Ostern vorbereiten (das die syrisch-orthodoxe Gemeinde wie andere orthodoxe Kirchen erst am 15. April feiert). Die Tradition verlange, dass er um Ostern jedes Gemeindemitglied zu Hause besuche: „Das dauert bis zu zwei Monate.“ Dann werden Neuigkeiten ausgetauscht, Ratschläge gegeben – und die Osterspezialitäten aufgetischt.

Lexikon

Altorientalisch
Die syrisch-orthodoxe Kirche zählt zu den altorientalischen Kirchen und hat Schätzungen zufolge 5000 Mitglieder in Österreich. Sie wurde 1987 als Religionsgemeinschaft anerkannt. Die Gemeinde – die meisten Mitglieder stammen aus der Türkei – betreibt ein Kulturzentrum mit Kirche in Wien-Floridsdorf (Leopoldauer Platz). Die liturgische Sprache der Messen ist Aramäisch, die Sprache Jesu; das Oberhaupt der Kirche, Patriarch Ignatius Zakka I. Iwas, sitzt in Damaskus.

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