Spanien: Dem Stierkampf geht es an den Kragen

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Kaum noch Zuseher, kaum noch Geld, dafür wachsende Abscheu: Spaniens traditionelles Volksspektakel ist auf dem Rückzug, immer mehr Arenen sperren zu, viele Kampfstiere wandern gleich direkt ins Schlachthaus.

Früher starben Spaniens Stiere noch zuhauf in der Arena durch den Degen des Toreros – heute landen immer mehr der oft hochgezüchteten Kampfbullen im Schlachthaus. Die umstrittene Volksunterhaltung Stierkampf ist nämlich seit geraumer Zeit in der Krise: Die Zuschauerzahlen sanken massiv, immer mehr Orte wollen kein Geld mehr für die fragwürdigen „Fiestas“ ausgeben, bei denen die Tiere zu Tode gequält werden.

Vor Kurzem schloss auch die baskische Stadt San Sebastián (Donostia) ihre Stierkampfarena: „Das Leiden der Tiere darf sich nicht in ein öffentliches Spektakel verwandeln“, erklärte der Bürgermeister, Juan Carlos Izaguirre. Zudem sei es in Zeiten leerer kommunaler Kassen nicht mehr zumutbar, „die Arena auf Kosten der öffentlichen Hand zu unterhalten, um dort sieben Stierkämpfe im Jahr zu veranstalten“. Künftig nutze man sie für Sport- und Musikereignisse.

Tierliebe? Spanienhass!

San Sebastián ist mit etwa 190.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt im nordspanischen Baskenland und vor allem durch sein internationales Filmfestival weltberühmt. Für 2016 wurde die Stadt am Atlantik zur europäischen Kulturhauptstadt gekürt. Doch nicht nur hier, wo die baskische Unabhängigkeitsbewegung „Bildu“ im Rathaus regiert, geht es den Stierkämpfern an den Kragen. Auch in anderen baskischen Orten, wo das erstarkende anti-spanische Parteienbündnis Bildu das Sagen hat, sollen Arenen gesperrt werden. Tierschützer freut das, aber hinter dieser Kampagne steckt mehr: Stierkämpfe gelten als typisch spanisch und das Bündnis Bildu, das schon in rund 100 Rathäusern im rebellischen Baskenland die Macht hat, will mit Spanien so wenig wie möglich zu tun haben.

Aus ähnlichen Motiven kam auch das Stierkampfverbot in der ebenfalls aufmüpfigen nordostspanischen Region Katalonien zustande, wo Toreros, Picadores und Co. seit Anfang 2012 per Dekret arbeitslos wurden. Auf den Kanarischen Inseln sind Stierkämpfe seit mehr als 20 Jahren untersagt. Aber sogar in den Hochburgen des Stierkampfs, etwa im südspanischen Andalusien oder in Spaniens Hauptstadt Madrid, wenden sich immer mehr Menschen davon ab. Regelmäßig gibt es Proteste vor Arenen, bei denen Demonstranten „Schluss mit der Folter“ rufen.

Belustigung für Alte

Umfragen zufolge interessiert sich nur noch eine Minderheit, meist ältere Menschen, für Stierkämpfe, die seit Jahrhunderten in Spanien (seltener in Portugal, Südfrankreich und Lateinamerika) als „nationale Tradition“ veranstaltet werden. Die Zeiten ausverkaufter Arenen sind aber lange vorbei: Viele können nur mit Subventionen überleben, immer mehr sperren zu. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl dieser Spektakel, die einst zu jedem Dorffest gehörten, auf rund 1200 halbiert. Viele Stierzüchter müssen ihre Kampfbullen mangels Abnehmern direkt ans Schlachthaus liefern. Besonders der Stierschwanz ist eine Delikatesse und steht als „rabo de toro“ auf mancher Speisekarte.

Förderer von ganz oben

Den Trend können auch die obersten Torero-Fans, König Juan Carlos und der konservative Premier Mariano Rajoy, nicht aufhalten – und das, obwohl Rajoy versucht, das Interesse anzukurbeln: Das öffentliche Fernsehen TVE muss die großen Stierkämpfe wieder live übertragen, zur besten Kinderstundenzeit am Nachmittag. Zudem möchte Rajoy die Stierkampftradition im ganzen Land als  „Kulturerbe“ gesetzlich schützen lassen.

Lexikon

Der Stierkampf (corrida de toros) in Spanien lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen, als Ritter zu Pferde gegen Stiere kämpften, was Vorbilder im alten Rom hatte. Die moderne, streng inszenierte Form entstand im 18. Jh., die erste Arena wurde 1733 in Sevilla (Andalusien) gebaut, erst war sie aus Holz, später folgte ihr ein mächtiger Steinbau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2012)

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