Berliner Weihnachten sind einfach ehrlicher Wer über die Weihnachtsmärkte in Wien die saisongerecht verschnupfte Nase rümpft, also der kennt Berlin nicht. Die deutsche Hauptstadt ist dabei nämlich viel ehrlicher: Sie verzichtet auf das ganze verlogene Adventambiente, um den Genuss alkoholischer Heißgetränke ästhetisch zu rechtfertigen. Die Geschmacklosigkeit kommt hier einfach und ungeschminkt daher, etwa als Rummelplatz und Hüttengaudi. Von der Achterbahn schallt und kracht es, schön laut, „Leise rieselt der Schnee“. Dazu röhrt ein Kunst-Elch Kalauer. Und selbst der Berliner Bettler verkleidet sich als Weihnachtsmann. Dass es zuweilen aber auch zauberhaft zugehen kann, verdankt Berlin dem Schlendrian der Kommune und der Trägheit der hiesigen Hausmeister. Anders als anderswo wird hier nämlich nicht Schnee geräumt. So verwandelt schon ein moderater Schneefall die urbane Szenerie in ein ländliches Idyll und die Straße wird zur Piste. Alles stapft und schlingert durch eine von der Natur vorübergehend zurückeroberte Stadt. Keuchende Eltern ziehen dann jauchzende Kinder auf dem Schlitten in die Kita (Kindertagesstätte). Das hat, wer will es leugnen, schon seinen Reiz – auch unbetäubt von Glühweinschwaden. Von Karl Gaulhofer (Berlin)
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"Merii Kurisumasu": Weihnacht, postmodern Die japanische Gewohnheit der Aneignung interessanter Versatzstücke fremder Traditionen zwecks der Erzeugung eines interkulturellen Potpourris ist immer wieder ein Quell der Freude – und das ganz besonders in der Adventzeit, in der sich Tokio in ein postmodernes Winterparadies verwandelt. Die Einkaufsstraßen werden mit Weihnachtsbeleuchtung geschmückt und sprechende Plastiktannen an den Straßenecken platziert, auf dass sie arglose Passanten erschrecken mögen. In den Vitrinen der Konditoreien wird der „authentische“ Weihnachtskuchen, „Kurisumasu Keeki“ genannt, ausgestellt: ein mehrstöckiges Ungetüm aus weißer Crème und knallroten Erdbeeren. Und die Fastfood-Kette „Kentucky Fried Chicken“ bereitet sich auf den alljährlichen Massenandrang vor, denn aus unerklärlichen Gründen gilt ein Kübel Chicken Wings in Japan als die weihnachtliche Delikatesse schlechthin. Wer mag, kann zu den panierten Vogelteilen auch ein Glas Champagner bestellen. In diesem Sinne: Merii Kurisumasu! Von Michael Laczynski
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Komplizierte Kiewer Kältegleichungen Der russische Winter ist in die Ukraine gekommen. Minus neun, minus elf, minus 15 – die Grade verziehen sich unerbittlich in den Temperaturkeller. Nur in der Küche lässt es sich aushalten, Backrohr und Gasflamme müssen mitfeuern. Denn am Heizkörper lässt sich grundsätzlich nicht herumdrehen. Irgendwo in Kiew steht ein bebrillter Ingenieur in der Heizzentrale und errechnet, wie viel Wärme heute gestattet ist. Eine komplizierte Gleichung: Kohlemenge mal Wintertage dividiert durch Staatsschulden plus Zinsen ist gleich Zimmertemperatur. Wir sind seiner Rechnung ausgeliefert. Wirklich gestraft ist derjenige, der ins Freie muss. Denn auf den Straßen ist es nicht nur bitterkalt, es regiert das Chaos. Kilometerlanges Schlangestehen, schlimmer als im Kommunismus, da helfen weder „Hummer“ noch BMW. Verkehrsunfälle im Minutentakt, hoffnungslos überfüllte Busse und U-Bahnen. Weihnachtslaune? Fehlanzeige. Sowieso ist es noch lange bis dahin, Weihnachten kommt hier ja erst nach Neujahr.Von Jutta Sommerbauer
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Wo Weihnachten irgendwie Alltag ist Wer nicht weiß, dass Heiliger Abend ist, wird in Jerusalem davon nichts mitbekommen, es sei denn, er geht zufällig an einer Kirche vorbei oder besucht die Altstadt. Im christlichen Viertel gibt es Plastiknikoläuse und Baumschmuck, und das Österreichische Hospiz lädt diese Woche zum Weihnachtskonzert mit anschließendem Apfelstrudel und Wiener Melange ein. Selbst in Bethlehem, dort wo angeblich alles begann, bleibt die Weihnachtsstimmung in diesem Jahr bedrückt. Auf dem Manger-Square vor der Geburtskirche Jesu steht zwar der pyramidenartige, knapp 20 Meter hohe Kunstbaum in voller Beleuchtung, doch kommen weit weniger Pilger als erhofft. Rund ein Viertel der geplanten Reisen ins Heilige Land wurden nach dem jüngsten Gaza-Krieg im November storniert. Die Menschen in Jesu Geburtsstadt glauben kaum noch an Frieden. Und immer enger rücken die israelischen Siedlungen an Bethlehem heran. Von Susanne Knaul (Jerusalem)
(c) REUTERS ( Ronen Zvulun Reuters)
Mit Gospel und Granaten Vor dem Eingang eines Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt steht bei 27 Grad Celsius ein Gospelchor mit Nikolausmützen und trällert „The First Noël“. An ihnen vorbei spaziert die Mittel- und Oberschicht noch mehr Weihnachtsstimmung entgegen. Drinnen tönt „Last Christmas“ von WHAM! aus den Lautsprechern – einmal in klassischer Version, dann wiederum mit Afrobeats unterlegt. Auf den Kinoleinwänden drinnen flimmert „Nairobi Half Life“, eine Geschichte von einem jungen Mann, der vom Land in die Metropole zieht und dort mit den dunklen Seiten der Stadt konfrontiert wird. Die wirklichkeitsnahe Darstellung von Armut und Gewalt hat das kenianische Drama im vergangenen Jahr zum filmischen Highlight katapultiert. Sicherheitsbeamte kontrollieren die Kinobesucher mit Metalldetektoren und durchsuchen ihre Taschen. Seit kenianische Truppen im Vorjahr die Interventionskräfte der Afrikanischen Union im bürgerkriegszerrütteten Nachbarland Somalia verstärkten hat sich das Sicherheitsaufgebot in Nairobi enorm verschärft. 2012 gab es Dutzende Attentate im Land, vier davon allein in Nairobi im Dezember. Die religiösen Spannungen werfen einen dunklen Schatten über die Weihnachtsfeierlichkeiten.Von Anna Mayumi Kerber (Nairobi)
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Der verstörendste Christbaum Europas So richtig will heuer in Brüssel keine Weihnachtsstimmung aufkommen: Der Dezember ist sogar für belgische Verhältnisse sehr mild, nicht einmal nachts fallen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, und morgens wird man von fröhlichem Vogelgezwitscher geweckt. Das hält die Massen zwar nicht davon ab, sich in der Adventamüsiermeile „Plaisirs d'Hiver“ zwischen Boulevard Anspach und Grand-Place den Magen mit klebrigem Glühwein zu imprägnieren. Eine Aufregung gab es dennoch: Auf dem Grand-Place steht heuer kein echter Nadelbaum, sondern eine 25 Meter hohe kubistisch anmutende Abstraktion davon. Der Volkszorn über diese Marotte des Tourismusstadtrates hat sich zwar gelegt. Am 28. Dezember wird das Experiment dennoch frühzeitig beendet. Von Oliver Grimm
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Stille Nacht ist woanders Alle Jahre wieder steht Argentiniens Hauptstadt vor Weihnachten vor dem Kollaps. Die Bewohner durften im Advent U-Bahn-Streiks, Straßensperren und einen Streik der Müllabfuhr erleben, eine Großdemo vor dem Regierungspalast und Plünderungen, die es auch in anderen Städten des Landes gab. Entsprechend ist die allgemeine Laune. Immerhin faselt niemand etwas von „stiller Weihnacht“. Das wäre angesichts des permanenten Hupkonzerts verlogen. Argentinier nennen sich Individualisten, vor allem tun sie, was ihnen gerade taugt. Wenn 13 Millionen Individualisten an einem Ort sind schafft das Reibungen, die sich immer zu Jahresende entladen, denn im Dezember ist Hochsommer und es endet das Geschäfts- und das Schuljahr mit Abschlussprüfungen, Festen und allem, was Zeit verschlingt und Nerven kostet. In der Heiligen Nacht isst man dann gern schwere Gerichte aus der Tradition der spanischen und italienischen Vorfahren und veranstaltet ein wildes Feuerwerk. Das beliebteste Weihnachtslied hier ist übrigens „Noche de Paz“. Im deutschen Original: Stille Nacht. Von Andreas Fink (Buenos Aires)
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Einen Schritt vor dem Abgrund Barack Obamas Weihnachtsfreuden auf Hawaii werden nur kurz währen. Das Land steht einen Schritt vor dem gähnenden Abgrund, der sogenannten Fiscal Cliff, und damit einer dräuenden Rezession. Der Präsident, von „Time“ soeben abermals zur „Person des Jahres“ gekürt, wird in Washington gebraucht, um vor Silvester wenigstens einen Minimalkonsens im Dauerstreit um Steuererhöhungen und Budgetkürzungen zu erzielen. Die Uhr läuft um Mitternacht ab, wenn sich am New Yorker Times Square die Kristallkugel im Konfettiregen herabsenkt. Obama rief zum Weihnachtsfrieden auf, zur „Abkühlung“ und zum Trinken einiger Gläser Eierlikör. Im Kongress hatte die Republikanerfraktion eine Palastrevolte gegen ihren Chef, John Boehner, angezettelt. Es zeigte neuerlich Washingtons dysfunktionalen Politbetrieb auf. Kurz darauf forderte die Waffenlobby NRA die Bewaffnung der 130.000 US-Schulen – nur eine Stunde nachdem die Schweigeminute zum Andenken an die Opfer des Schulmassakers von Newtown verstrichen war, die 26 Glockenschläge und das „Amazing Grace“ verklungen waren. Von THOMAS VIEREGGE
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Wo Weihnachten zur Gewissensfrage wird Zu einer wahren Gewissensfrage werden die Weihnachtseinkäufe in der Delikatessenabteilung des Pariser Warenhauses „Le Bon Marché“, an dem nur noch sein überlieferter Name besagt, dass einst alles hier speziell preisgünstig war. Da es hier aber nur das Feinste vom Feinen aus aller Welt und vor allem von Frankreichs kulinarischen Spezialitäten gibt, lassen sich die Gourmets leicht zu verantwortungslosen Ausgaben verleiten. Den Gedanken ans überzogene Budget oder an die Hungernden schiebt man beiseite, es ist ja nur ein Mal im Jahr für das Weihnachtsdiner! Die guten Vorsätze sind für den Jahreswechsel. Doch dann tauchen neue Gewissensbisse auf. An der Auslage mit Enten- und Gänsestopfleber kommt man schwer vorbei. Seit Jahren aber wünschen Tierschützer den Konsumenten, dass ihnen das Produkt aus quälerischer tierischer Zwangsernährung im Hals stecken bleibe. Bisher ist es ihnen aber nicht gelungen, den vielen Gourmets den Appetit auf „foie gras“ zu verderben. Wo die Gaumenfreuden solchen Genuss versprechen, hört eben Tierliebe auf. Wer mit diesem Dilemma nicht essen und leben kann, geht halt weiter zum Käse. Der ist in Frankreich bekanntlich so köstlich wie nirgendwo sonst (außer in der Schweiz und in Vorarlberg). Von Rudolf Balmer (Paris)
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The Londoners are not amused Eine Hiobsbotschaft mussten kurz vor dem Heiligen Abend die Londoner hören: Das U-Bahn-Personal der Millionenmetropole will streiken, und zwar ausgerechnet am zweiten Weihnachtsfeiertag. Damit aber ist die nationale Lieblingsbeschäftigung akut gefährdet: Shoppen. Darauf mögen die konsumfixierten Briten nämlich überhaupt nur einen Tag im Jahr verzichten: am ersten Weihnachtstag – und das auch nur, weil sie sich dann mit Auspacken trösten können. Dafür geht es gleich am nächsten Tag wieder los: Der zweite Weihnachtstag, „Boxing-Day“ genannt (ursprünglich, weil dann Schachteln mit milden Gaben an die Armen verteilt wurden, heute, weil man sich durch Massen von Schnäppchenjägern boxen muss), ist der wichtigste Tag für den Einzelhandel, schon jetzt wird mit Rabatten von 40 Prozent geworben. Doch ohne U-Bahn kommen viele gar nicht erst bis zur Haupt-Shopping-Meile der Stadt, der Oxford Street. Bürgermeister Boris Johnson drohte den „Tube“-Führern zwar sogar mit Kündigung. Aber die bleiben bislang hart: Drei Tage extra Bezahlung und einen freien Tag fordern sie für den Dienst am Boxing Day. Schließlich wollen sie auch viel lieber shoppen. Von Julia Kastein (London)
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Chinesische Christbäume in einem islamischen Land Hassan Abu Daous verkauft seit einem halben Jahrhundert Weihnachtsbäume in Kairo. Ausländer sind seine Kunden, aber auch Muslime und christliche Kopten, die ihr orthodoxes Weihnachten am 7. Jänner feiern. Aber da Ägypter immer alles lieben, was leuchtet und glänzt, gibt es dort viele Menschen, die kein religiöses, sondern eher ein „Kulturweihnachten“ feiern – und dazu gehört halt unbedingt ein Weihnachtsbaum. Dieses Jahr sei es allerdings ziemlich flau mit dem Verkauf, erzählt Hassan, ein Muslim. „Solche Bäume kaufen die Menschen, wenn sie glücklich sind und es ihnen gut geht“, erklärt er den Käuferschwund. Aber Kairo ist so wie das ganze Land in der Krise, mit dem Streit um die Verfassung und den Kämpfen auf der Straße zwischen Islamisten und Opposition, da will eben keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen. Der Handel mit den Christbäumen ist also ebenso einem Wandel unterworfen wie derzeit die gesamte arabische Welt – wenngleich viel weniger turbulent.Von Karim EL-Gawhary (Kairo)
Reuters
Miniaturen von Weihnachten
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