Frankreich: Megaprozess wegen Brustimplantaten

Frankreich. Brustimplantaten
Frankreich. Brustimplantaten(c) EPA (GUILLAUME HORCAJUELO)
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Am Mittwoch begann ein Strafverfahren wegen weltweiten Betrugs mit minderwertigen Silikonkissen. Auch 73 Österreicherinnen treten als Privatbeteiligte auf.

Es ist ein Prozess über Vorwürfe von ungewöhnlichen Ausmaßen, und so ist es kein Wunder, dass das zuständige Gericht in der südfranzösischen Stadt Marseille für den gestrigen Verhandlungsbeginn eine Halle im Ausstellungspark in einen Verhandlungssaal umbauen ließ. Die kalte Atmosphäre des großen Mehrzweckgebäudes verlieh der ersten Verhandlung zu diesem Gesundheitsskandal mit internationaler Dimension zusätzlich den Aspekt eines Schauprozesses.

Dabei geht es um Vorwürfe des zehntausend-, ja hunderttausendfachen Betrugs und der Täuschung beim Vertrieb minderwertiger, wenn nicht schädlicher Silikon-Brustimplantate. Im Zentrum der Anklage stehen Jean-Claude Mas (73) und vier Manager der von ihm 1991 in einem Vorort der Hafenstadt Toulon gegründeten Firma PIP (Poly Implant Prothèse).

Ganz vorn sind an diesem Tag die Stühle für die Angeklagten aufgestellt, dahinter sitzen ihre Anwälte, mehr als die Hälfte des Saals belegen aber rund 300 Anwälte, die 5280 Privatbeteiligte repräsentieren.

Auslaufende Brusteinlagen

Belagert von Dutzenden Fotografen betritt Mas sichtlich nervös die Halle. Die Mitangeklagten werden vorgeführt und hören die Anklageschrift. Darauf haben nicht nur die anwesenden Privatbeteiligten gewartet, sondern weltweit unzählige Frauen (die Rede ist von bis zu 400.000), denen Ärzte Implantate von PIP einsetzten; sie waren minderwertig und teils unter Benutzung von dafür ungeeignetem, nicht zugelassen Billigsilikon erzeugt worden.

Als sich Beschwerden über undichte PIP-Einlagen häuften, begannen Behörden mehrerer Länder zu ermitteln, 2010 wurde PIP von den französischen Behörden praktisch dichtgemacht. Befürchtete Folgekrankheiten wie Krebs wurden bisher nicht nachgewiesen, jedenfalls ließen viele Frauen die Einlagen (oft auf ärztlichen Rat hin) austauschen.

Anwältin aus Österreich

Fast 1000 Frauen reisten an. Sigrid Preissl, eine in Paris tätige Anwältin und gebürtige Tirolerin, vertritt 73 Privatbeteiligte aus Österreich, drei Kärntnerinnen sind mit ihr gekommen. „Die Österreicherinnen wurden in Osteuropa operiert. Einige haben auch in Frankreich Klage wegen Körperverletzung eingereicht“, so Preissl. „Die internationale Verästelung macht daraus einen Fall, der nicht nur in die französische Rechtsgeschichte eingehen wird.“

Alle Opfer wollen Sühne und Wiedergutmachung. Als Mas bei der Befragung sagt, er habe als Einkommen nur eine monatliche Pension von 1700 Euro, quittieren das Opfer im Saal mit Schreien. Aber wer soll zahlen? PIP wurde 2011 liquidiert und Mas, ein ausgebildeter Fleischhauer und späterer Pharmahändler, hat Insolvenz angemeldet. Zwei Mitangeklagte sagten, sie seien arbeitslos.

Entrüstet über die Geplänkel sind die Opfer. Joëlle Manighetti (58) sagt zur „Presse“, sie sei es leid, ihre Geschichte wieder und wieder zu erzählen, doch ihre Wut auf Mas, die Chirurgen, die Versicherungen und den „zu passiven Staat“ ist stärker. Sie schildert, wie sie nach einer Brustkrebsoperation PIP-Kissen erhielt; seither sei sie sechsmal operiert worden.

„Wir sind gezeichnet“

Was sie sich vom Prozess erhoffe? „Ich erwarte nichts von Mas, der uns gegenüber nur Verachtung gezeigt hat. Falls er sich entschuldigt, glaube ich ihm kein Wort. Wir sind gezeichnet mit unseren Narben und Schmerzen. Ich möchte, dass er das bis ans Ende seiner Tage auf seinem Gewissen hat und sich selbst nicht mehr im Spiegel anzuschauen wagt“, sagt sie verbittert.

Der Prozess wird voraussichtlich einen Monat dauern.

Auf einen Blick

Der Brustimplantatehersteller PIP aus einem Vorort von Toulon (Frankreich) war von 1991 bis (im Wesentlichen) 2010 tätig und brachte hunderttausende Silikonkissen minderwertiger Qualität in Umlauf. In vielen Fällen rissen sie und mussten ausgetauscht werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2013)

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