Katja Kullmann: "Ultraharter Klassenkontrast"

Die Idee klingt gut: Junge Kreative sollen Detroit neu beleben. Die Buchautorin Katja Kullmann bezweifelt, dass sich soziale Schieflagen so einfach begradigen lassen.

Sie haben einige Zeit in Detroit verbracht und ein Buch über die Entwicklung der Stadt geschrieben. Der Untertitel: „Wie sich Detroit neu erfindet“. Ist diese Stadt nicht eher zum Scheitern verurteilt?

Katja Kullmann: Ehrlich gesagt ja. Die Hoffnung war zunächst, dass eine kreative junge Mittelschicht die Stadt wiederbeleben kann. Stadtplaner sagten: Wir können nicht mehr auf die globalisierte Industrie setzen, diese Jobs gibt es nicht mehr; auch die alten Rezepte wie das Hinklatschen von Shopping Malls oder Sportzentren funktionieren nicht mehr. Deswegen will man Detroit einerseits verkleinern: Leer stehende Gebäude werden nicht mehr renoviert, sondern abgerissen, man lässt ganze Gegenden überwuchern. Ziel ist, dass die versprengten Leute in den Stadtteilen näher in einen kleineren Kern zusammenrücken. Dabei sollen die jungen Kreativen eine Art „Schocktruppe“ sein – eine Injektion von neuem Leben. Und tatsächlich sind junge Leute hingezogen, nach dem Berlin-Prinzip „arm, aber sexy“. Viele dieser Kreativen sind sozial sehr engagiert, sprichwörtliche „soziale Entrepreneure“. Eine junge Designerin stellt etwa Wintermäntel für Obdachlose her, die auch als Schlafsäcke verwendbar sind...

Das sind beeindruckende Einzelbeispiele. Aber kann der Schulterschluss zwischen Kreativen und Bedürftigen Detroit retten?

Überhaupt nicht. Es gibt solche sozialen Verwerfungen dort, es ist ein derart ultraharter Klassenkontrast zwischen der Innenstadt und dem superreichen Umland, dass man klar sagen muss: Diese kleinen Initiativen retten nichts und niemanden. Es fehlt an Jobs, das soziale Gefüge bricht auseinander. Detroit zeigt mit aller Härte Entwicklungen, die wir auch in Europa diskutieren. Es fehlt die Mittelschicht, die „Stütze der Gesellschaft“, die ältere Politiker in den Sonntagsreden gern erwähnen; jene, die den Wohlstand aufgebaut haben, der jetzt verscherbelt wird. Detroit steht vor der ungelösten Frage: Wer könnte die „neue Mitte“ sein?

Wie geht es nun mit Detroit weiter?

Detroit hat Gläubiger, und es steht zu vermuten, dass die Stadt jetzt ihre letzten Reichtümer verkaufen muss. Es gibt etwa ein großes Museum, das Detroit Institute of Arts; ihm gehören Originale von Van Gogh und Monet. Man überlegt bereits den Verkauf der Kunstwerke. Ebenso wird die Kürzung der öffentlichen Gelder angekündigt. Schon heute wartet man auf einen Rettungswagen im Durchschnitt 58 Minuten. Es kann auch zwei Stunden dauern! 2011 wurden 60 Grundschulen dichtgemacht. Die werden ersetzt durch private, von Stiftungen finanzierte „Charter Schools“. Die sind zwar umsonst, aber die Kinder werden per Losverfahren gezogen. Ist es demokratisch, wenn Bildung vom Losglück abhängt? Die Kommune hofft, dass Investoren den Laden am Laufen halten. „Forbes“ schrieb gestern: „Detroit ist pleite – warum das Business jubelt“.

Sind die Investoren nicht Detroits Chance?

Man hofft es. Ich bin skeptisch. Nur ein Beispiel: Es gibt eine Firma, „Quicken Loans“, die leere Wolkenkratzer zum Schnäppchenpreis aufkauft und so genannte „High Potentials“ in die Stadt bringt. Wozu hat es geführt? Dass es in dem Viertel nun auch so ein standardisiertes „Hard Rock Café“ gibt! Jeder, der Geld hat, ist heute in Detroit willkommen, und der braucht ja jemanden, der ihm die Wohnung putzt. Das ist der Plan. Doch in der Realität ist es schwieriger. Das bisschen, was es noch gibt, wird den Meistbietenden gegeben. Die Verluste werden sozialisiert, die Gewinne werden privat verteilt.

Welchen Faktor spielt das nach Hautfarben getrennte Leben bei der Misere der Stadt?

Armut ist an die Hautfarbe gekoppelt. 80Prozent von Detroits Einwohnern sind arme schwarze Arbeitskräfte. Dann fahren Sie 20 Minuten an die Stadtgrenze – und plötzlich sind alle weiß. Der informelle Rassismus spielt eine große Rolle. Ich habe mit Liberalen aus den weißen Vororten gesprochen, die vielleicht dreimal im Jahr „runterfahren“ – wie gesagt, es sind 20 Minuten ins Zentrum! Ich möchte aber gar nicht mit dem Finger auf Amerika zeigen. Ich sage es ein wenig polemisch: Europas Detroit heißt Athen. In der EU nehmen wir Griechenland einfach so hin, wir sehen zu, wie sich dort Menschen umbringen, und ärgern uns nur, dass die Exporte einknicken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2013)

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