Der Lokführer und sein Assistent überlebten unverletzt, heute werden sie befragt. Gewerkschaften nehmen den Lokführer in Schutz, er selbst prahlte aber angeblich immer wieder mit dem Schnellfahren.
Nach der verheerenden Zugkatastrophe mit 80 Toten in Spanien wird mit Spannung die erste Vernehmung des Lokführers erwartet. Der 52-Jährige soll sich nach Medienberichten bereits am Freitag als Beschuldigter bei der Polizei zum Unfallhergang äußern. Er hatte nach Informationen aus Ermittlerkreisen eingeräumt, dass der Zug auf einer Tempo-80-Strecke mit 190 Kilometern pro Stunde gefahren sei. Gewerkschaften nahmen den erfahrenen Lokführer aber in Schutz und erklärten: Schuld war das ungeeignete Tempokontrollsystem.
Die spanischen Medien berichten allerdings, dass der Mann schon öfter mit seinem hohen Tempo geprahlt habe. Der 52-Jährige habe einmal auf seiner Facebook-Seite das Foto eines Zug-Tachometers veröffentlicht, der 200 Stundenkilometer anzeigte. Das Bild habe er mit den Worten kommentiert: "Ich bin am Anschlag, ich kann nicht schneller fahren, sonst kriege ich eine Strafe."
Wie die Regionalbehörden in Galicien nun ofiziell mitteilten, wurden bei dem schwersten Eisenbahnunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren rund 170 Fahrgäste verletzt. Bei 35 Menschen war der Zustand am Donnerstagabend noch kritisch. 67 der 80 Todesopfer konnten identifiziert werden. Gerichtsmediziner erklärten, die Identifizierung einiger Toten werde länger dauern. Laut ersten Aussagen des Außenministeriums befanden sich keine Österreicher unter den Opfern.
Die Regional-Zeitung "La Voz de Galicia" berichtete am Freitag unter Berufung auf Ermittlerkreise, bei einer ersten Auswertung der Blackbox sei festgestellt worden, dass der Zug wenige Kilometer vor der Einfahrt in den Bahnhof von Santiago im Tempo-80-Bereich mit 190 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen sei. Nach anderen Berichten hatte der Lokführer diese überhöhte Geschwindigkeit eingeräumt.
Über ein Jahr auf Unglücksstrecke im Dienst
Über den Grund der überhöhten Geschwindigkeit, mit der der Zug in die Kurve vier Kilometer vor dem Bahnhof des Wallfahrtsortes eingebogen sein soll, wurde zunächst nichts bekannt. Die staatliche Bahngesellschaft Renfe warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen. Renfe-Präsident Julio Gomez-Pomar erklärte, der Unglückszug sei am Morgen vor dem Unfall inspiziert worden. Er bezeichnete den Lokführer als erfahren und wies darauf hin, dass der Mann seit mehr als einem Jahr auf der Unglücksstrecke im Dienst gewesen sei.
Die Lokführer-Gewerkschaft (SEMAF) brachte eine Debatte mit der Behauptung ins Rollen, die Tragödie hätte mit dem modernen ERTMS-Tempokontrollsystem an der Unglücksstelle verhindert werden können. Da die 2011 eingeweihte Hochgeschwindigkeitsstrecke aber vier Kilometer vor Santiago - kurz vor der Unfallstelle - ende, sei das ältere ASFA-System im Einsatz gewesen, das den Zug beim Überschreiten der erlaubten Geschwindigkeit nicht immer automatisch abbremse, klagte SEMAF-Generalsekretär Juan Jesus Fraile im Radio. "Ideal wäre es gewesen, wenn man die Hochgeschwindigkeitsstrecke bis Santiago fertiggebaut hätte", sagte er.
Die Eisenbahninfrastruktur-Behörde ADIF wies die Vorwürfe zurück. Im städtischen Raum und bei der Stationseinfahrt sei das ASFA das geeignete System, hieß es. Polizei- und Eisenbahnexperten untersuchen die Unfallursache. Einen Anschlag schlossen die Ermittler schnell aus.
"Tote gingen auf mein Gewissen"
Der Lokführer und sein Assistent überlebten das Unglück nahezu unverletzt. Nach Informationen der Zeitung "El Pais" soll der Lokführer unmittelbar nach der Katastrophe über Funk der Leitstelle im Bahnhof von Santiago gesagt haben: "Ich hoffe, es gibt keine Toten, denn die gingen auf mein Gewissen."
Das Katastrophe war das drittschwerste Bahnunglück in der spanischen Geschichte. 1944 kamen bei einer Zugkollision bei Leon im Norden des Landes wahrscheinlich mehr als 500 Menschen ums Leben; die Zensur der Franco-Diktatur bezifferte die Zahl der Opfer auf 78. Im Jahr 1972 forderte ein Zugsunglück in Andalusien 86 Menschenleben.
(APA/AFP)