Ein Roma-Dorf zieht um

Familien in der alten Roma-Siedlung in Letanovce
Familien in der alten Roma-Siedlung in LetanovceChristoph Thanei
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In der Slowakei wurde innerhalb weniger Wochen eine ganze Hüttensiedlung verlegt. Geplant war der Umzug schon lange, doch wollte sie niemand als Nachbarn haben.

Es sind hier Tonnen von Abfall zurückgeblieben. Das alles wegzuräumen wird die Gemeinde mehr Geld kosten, als sie eigentlich hat“, klagt Michal Urban. Der Nachsatz „Aber Hauptsache, die illegale Roma-Siedlung ist weg“, bleibt zwar unausgesprochen, klingt aber im Tonfall des Bürgermeisters der Gemeinde Letanovce mit.

Das zeigt auch die Eile, mit der die über Jahrzehnte angewachsene Roma-Siedlung auf dem Gemeindegebiet des ostslowakischen Dorfes niedergerissen wurde: Nur wenige Wochen nach Beginn der Umsiedlung von mehr als 800 Einwohnern aus einer Ecke des Gemeindegebietes in ein noch weiter vom Dorfkern entferntes Gebiet sind alle Gebäude der ehemaligen Hüttensiedlung so konsequent zerstört worden, dass ja niemand auf die Idee kommen kann, eines von ihnen wieder zu bewohnen. Weitaus länger als das Niederreißen einer der berüchtigtsten Roma-Siedlungen der Slowakei hatte die Suche nach Ersatzunterkünften gedauert. Denn sobald irgendwo ein Ort für ihre Unterbringung gefunden schien, protestierten dort schon Anrainer dagegen, die Roma als neue Nachbarn zu bekommen.

Schließlich wurde Strelniky ausgewählt, wo nach jahrelangem Tauziehen tatsächlich die Bewohner der alten Siedlung ihre einfachen, aber immerhin gemauerten – und endlich legalen – Häuser beziehen konnten: Formell ist Strelniky auf dem Katastralgebiet der Gemeinde Letanovce gelegen, aber trotzdem so weit weg von deren Ortskern, dass für Einkäufe und andere Besorgungen die Nachbargemeinde Spišský Štvrtok näher liegt. Die Proteste der Nachbargemeinde waren auch ein Hauptgrund dafür, dass von der Entscheidung über den Standort bis zur tatsächlichen Übersiedlung so viele Jahre vergangen sind.

Schon im Jahr 2003 hieß es, die Übersiedlung stehe kurz bevor. Ein Jahr früher waren der damalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen und der damalige slowakische Ministerpräsident Mikuláš Dzurinda ohne Rücksicht auf ihre glänzenden Schuhe durch den Schlamm gestapft, um zu demonstrieren, dass sie ihre Zusagen ernst meinten: Letanovce sollte zum Vorbild werden, wie eine ganze Siedlung mit EU-Förderungen in komfortablere neue Häuser eines einfachen, aber zeitgemäßen Standards umgesiedelt wird.

Wasser aus dem Brunnen.
Doch im ganzen Jahrzehnt danach bot sich stets das gleiche Bild, als wäre die Zeit in der „Roma-Siedlung auf Abruf“ stehen geblieben: Balken- und Bretterbuden aus Holz mit kaum wetterfesten Blechdächern, dazwischen Wege, die nie bewusst angelegt wurden, sondern sich als Trampelpfade durch die Benutzung gebildet hatten. Von der einzigen Trinkwasserquelle, einem Brunnen außerhalb der Siedlung, schleppten die Familien das Wasser in Kübeln mehr als hundert Meter in die Küchen, das Brennholz für die Öfen wurde trotz Verbots aus den Wäldern geholt. Aus dem Dorf wurde Weggeworfenes auf Handkarren in die Roma-Siedlung zum Recycling gebracht.

Immerhin konnte im Sommer 2008 der Sozialarbeiter, Dichter und Filmdarsteller Ivan Mirga, damals gerade frisch im Amt als regionaler Verantwortlicher der staatlichen Roma-Behörde, schon die vor der Fertigstellung stehenden Häuser zeigen. Sie waren inzwischen unter Mithilfe der Roma und mit den versprochenen EU-Förderungen gebaut worden und schienen – abgesehen von ein paar kleineren Installationsarbeiten – schon fast bezugsfertig.

Dass es statt ein paar Wochen noch mehr als fünf Jahre dauerte, bis die Übersiedlung tatsächlich erfolgte, hat Mirga wortkarg gemacht: Es habe viele Probleme gegeben, darüber könne er aber keine offiziellen Auskünfte erteilen. Für die sei das Innenministerium zuständig; diesem wurde die Roma-Behörde inzwischen unterstellt. Auf Anfrage, warum es mehr als fünf Jahre dauerte, bis die Häuser bezogen werden konnten, heißt es aus dem Ministerium: „2008 waren noch nicht alle Wohnhäuser fertig gebaut und es fehlte die notwendige Infrastruktur: Elektroanschlüsse und Beleuchtung.“

In den Medien wird vermutet, dass nicht die Langsamkeit der Elektriker für einen jahrelangen De-facto-Baustopp sorgte, sondern illegale Machenschaften in der Projektabwicklung. Handfeste Beweise gibt es keine. Neben den Protesten der Anrainer ist auch bei anderen Roma-Projekten in der Slowakei der intransparente Umgang mit Fördermitteln seit Langem ein bekanntes Problem.

Bei den Roma in Letanovce-Strelniky scheint in den ersten Tagen nach der Übersiedlung die Freude über die neuen Häuser die Frustration über das lange Warten vorerst überdeckt zu haben. Das Grundproblem der Ghettosituation ist aber auch mit den neuen Häusern prolongiert: Es gibt in der neuen Siedlung weder Geschäfte, noch eine sonstige gemeinsame Infrastruktur. Und der Fußweg in die Grundschule wird für die Kinder noch länger sein als vorher. Im Internet häufen sich zudem die hämischen Kommentare, es werde nicht lange dauern, bis die Roma auch ihre neuen Häuser „verwüstet“ hätten. EU und slowakische Behörden hätten wieder einmal Millionen in ein Roma-Projekt investiert, „aber für uns Slowaken gibt es kein Geld, wenn wir Probleme haben“.

Slowakisches Paradies.
Ivan Mirga ringt sich trotz allem zu einem Rest an Optimismus durch: „Zumindest wird die neue Siedlung den Roma eine bessere Wohnqualität bieten.“ Noch größer ist das Aufatmen bei Tourismusunternehmen: Sobald die Reste der alten Siedlung beseitigt sind, führt der Weg in den Nationalpark „Slowakisches Paradies“ nicht mehr an einer Hüttensiedlung vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

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