Schuldenkrise: Ein kleines irisches Dorf will nicht mehr

Ballyhea
BallyheaEva Winroither
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Der Ort Ballyhea protestiert seit fast drei Jahren gegen die irische Krisenpolitik. Und will das erreichen, was Politiker nicht geschafft haben – einen Schuldenerlass für das Land.

Der Regen peitscht in die Gesichter der Menschen von Ballyhea, aber sie scheinen das gar nicht zu bemerken. Unbeirrt tragen sie ihre Schilder vor sich her: „Ballyhea sagt Nein“. Und: „Banken müssen für ihre Verluste selbst aufkommen“. Dahinter marschieren alle, die eben aus der Kirche gekommen sind. 38 Menschen. Eine Frau mit weißen Locken, ein junger Rothaariger, daneben seine Freundin und ganz hinten jener Mann, der den Protest organisiert hat, Diarmuid O'Flynn.

Seit fast drei Jahren protestieren die Menschen von Ballyhea gegen das Finanzkrisenmanagement der irischen Regierung. Gegen die bedingungslose Rettung der irischen Banken und die hohen Schulden, die das irische Volk nun abbezahlen muss; während ausländische Gläubiger davongekommen sind. Seit 144 Wochen marschieren sie deswegen die 200 Meter lange Strecke von der Kirche bis zum Kreisverkehr und wieder zurück. Jeden Sonntag, um halb zwölf. Bei Regen, Wind und Sonnenschein. Keine Ausnahmen.

„Ich gebe zu, wir wussten am Anfang nicht, wogegen wir uns auflehnen. Wir wussten nur, dass etwas ganz furchtbar falsch war“, sagt Diarmuid O'Flynn. Der 60-Jährige trägt einen Schnauzbart, der Wind bläst ihm die Haare vor die Brille. O'Flynn ist Sportjournalist und geübt darin, schwierige Sachverhalte einfach zu erklären. Das muss er auch, wenn er andere von seinem Vorhaben überzeugen will. Denn: „Während der Krise wurde in den Medien immer gefragt, warum deutsche Banken den irischen helfen sollen. Aber wir sagen es anders: Warum sollten die Iren für die Deutschen zahlen? Denn das ist genau, was passiert ist.“

Um das zu verstehen, muss man sich die irische Finanzkrise ansehen. Im Jahr 2008, noch lange vor der Griechenland-Krise, beginnt der irische Bankensektor zu taumeln. Die Immobilienblase, die jahrelang genährt wurde, droht zu platzen. Zu viele Iren haben sich ein Haus auf Pump geleistet. In dieser Phase geht die amerikanische Investmentbank Lehmann pleite.

Auch den irischen Banken droht der Kollaps, der Staat will sie retten, weswegen der damalige Finanzminister, Brian Lenihan, eine generelle Bankgarantie ausgibt. Doch damit sichert er nicht nur das Geld der Sparer. Irland verspricht auch, für alle Verbindlichkeiten der Banken gegenüber ihren Gläubigern aufzukommen. Das kann sich das Land aber nicht leisten.

Auf Generationen verschuldet. 2010 muss Irland deswegen als erstes Euroland mit 85 Milliarden Euro unter den Rettungsschirm. Geld, das der irische Steuerzahler zurückzahlen wird. Und hier setzt O'Flynns Kritik ein. Denn ein Großteil der irischen Gläubiger sind deutsche, französische und niederländische Banken. „Das Geld (aus dem Rettungsfonds, Anm.) ist also nicht in Irland geblieben, sondern nach Deutschland, Frankreich und in die Niederlande gegangen.“ Noch schlimmer: Die ausländischen Banken hätten dem „keltischen Tiger“ billig Geld geborgt und so die Immobilienblase vorangetrieben. „Wir werden 45 Jahre lang Schulden für die Fehler der Banker zahlen. Und nicht nur diese Generation, sondern die Generation darauf und die darauf.“ O'Flynns Stimme überschlägt sich fast vor Wut.

Zum gleichen Schluss kommt „Tagesspiegel“-Journalist Harald Schumann, der sich in der TV-Dokumentation „Staatsgeheimnis Bankenrettung“ auf die Suche nach Gläubigern und Anleihenbesitzern, den „Bondholders“ macht. Er wird beim irischen Blogger Paul Staines fündig, der eine Namensliste veröffentlicht hat. Darauf: Hypo-Kapitalanlage, Allianz Global Investors oder Pioneer Investments Kapitalanlage GmbH.

Für die Iren sind solche Geschichten schwer zu ertragen. Denn die Krise hat das Land hart getroffen. Die Wirtschaft schrumpft, Baustellen stehen still, Sozialausgaben werden massiv gekürzt – und die Iren tun das, was sie in Krisen schon immer getan haben. Sie wandern zu Tausenden aus.

Auch in Ballyhea ist die Krise zu spüren. Der 47-jährige Pat Moloney darf nach Jahren in seiner Firma nur mehr halbtags dort arbeiten und muss zwei weitere Jobs annehmen. In den Städten wiederum wird kaum noch investiert, medizinische Leistungen gekürzt. Wer kann, geht. „Uns fehlen zwei Generationen. Die 18- bis 25-Jährigen und die 30- bis 35-Jährigen, die mit ihren Familien weg sind. Wir haben ein riesiges Loch in der Bevölkerung und niemand scheint daran zu denken“, sagt Pats Frau Cathleen.

Die beiden gehören zur Kerngruppe in Ballyhea. Die aus Müttern, Vätern, Alleinerziehern, Volksschullehrern, Lagerarbeitern, Studenten und Pensionisten besteht. Der Ort selbst hat gerade einmal 1000 Einwohner und liegt in Irlands grünem Nirgendwo. Eine Tankstelle, eine Kirche, Häuser, mehr gibt es hier nicht. Und trotzdem will man hier Europas Krisenpolitik nicht mehr akzeptieren. Eine Keimzelle des Widerstands. Seit Diarmuid O'Flynn vor zweieinhalb Jahren beschlossen hat: So geht es nicht mehr weiter. Dabei dauert der wöchentlich Protestmarsch gerade einmal zehn Minuten.

Jubel, mit Vorsicht zu genießen. Es ist wohl die Kontinuität, mit der der Protest fortgeführt wird. Und die eigene Betroffenheit. „Im ganzen Land hat sich eine Hoffnungslosigkeit breitgemacht“, sagt Fiona Fitzpatrick aus dem 3,5 Kilometer entfernten Charleville und treibende Kraft hinter O'Flynn.

Sorgen und Meinungen, die der irische Ökonom Constantin Gurdgiev vom renommierten Trinity-College teilt. „Wir schiffen tausende Leute aus diesem Wirtschaftssystem aus. Die Wirtschaft sollte im Moment 3,5 Prozent wachsen. Wir wachsen aber nicht so viel. So, wir sind eine Erfolgsgeschichte?“ Es ist Grudgievs Antwort auf die Meldung, dass Irland den Rettungsschirm bald verlassen wird (siehe Interview rechts). Der Jubel ist tatsächlich mit Vorsicht zu genießen. Die irische Wirtschaft ist in der ersten Jahreshälfte 2013 um gerade einmal 0,2 Prozent gewachsen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit von 15,0 Prozent auf 13,6 scheint gar nichts, wenn man weiß, dass 200.000 Menschen durch Auswandern den Arbeitsmarkt verlassen haben.

Was also tun? Geht es nach den Leuten aus Ballyhea gibt es Lösungen, um die Schuldenlast von den Iren zu nehmen. Ihre Vorschläge haben sie in den „Ballyhea-Proposals“ veröffentlicht. Eine davon: Die EZB soll die 28 Milliarden an irischen Staatsanleihen, die sie durch die Central Bank of Ireland hält, abschreiben. Staatsanleihen, die ausgegeben wurden, um die Rettung von zwei großen, bereits insolventen Banken zu finanzieren. Eine andere: Der irische Pensionsfonds, der für die Bankenrettung verwendet wurde, soll aus den europäischen Rettungsgeldern wieder hergestellt werden.

Und Ballyhea ist es ernst damit. In den vergangenen Monaten haben sie ihr Anliegen vor Vertretern der EZB und der EU-Kommission vorgebracht, sie haben den Chef der irischen Zentralbank getroffen und versucht, möglichst viele Politiker auf ihre Seite zu ziehen. „Unsere Politiker haben nie versucht, einen Schuldenerlass auszuhandeln. Dann müssen wir es eben tun“, sagt O'Flynn. Vor Kurzem wurde ihre erste Forderung sogar als Antrag im irischen Parlament eingebracht, mit dem Ziel, die Verhandlungen über einen Schuldenerlass aufzunehmen. Der Antrag wurde aber abgelehnt, was ohne Unterstützung der Regierung erwartbar war.

»Wir haben's probiert.« So etwas steckt trotzdem an. Mittlerweile gibt es mehr Orte, die sich dem Protest anschließen: Tralee sagt Nein, Cobh sagt Nein. Manche hören auch wieder auf. Und nach Meinung von O'Flynn fangen viel zu wenige erst an. An Erfolg ist ohnehin nicht zu denken. „Solange wir nicht einen Cent Schuldenerlass erreicht haben, ist nichts erreicht“, sagt O'Flynn. „Und vielleicht werden wir auch nichts schaffen“, fügt Fiona Fitzpatrick hinzu. „Aber ich kann immer meinen Kindern in die Augen sehen und sagen: Wenigstens haben wir es probiert.“

Ballyhea

Die 1000-Seelen-GemeindeBallyhea liegt in County Cork, im Süden Irlands. Seit März 2011 protestiert eine kleine Gruppe jeden Sonntag um 12.30h gegen Irlands Schuldenlast.

Dieser Text entstand im Rahmen von „Eurotours 2013“, einem Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Gemeinschaftsmitteln der EU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2013)

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