Migration: Italien vor „Flüchtlings-Tsunami“

Eines von unzähligen Booten der Flüchtlingsflotte, die übers Mittelmeer nach Norden übersetzt.
Eines von unzähligen Booten der Flüchtlingsflotte, die übers Mittelmeer nach Norden übersetzt.(c) APA/EPA/ITALIAN NAVY PRESS OFFIC (ITALIAN NAVY PRESS OFFICE / HAND)
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Italiens Marine fischte im ersten Quartal 2014 schon 15-mal so viele Menschen aus dem Meer wie im Vergleichszeitraum 2013. Das UNHCR warnt: Es wird heuer noch viel schlimmer.

Rom. Viertausend Gerettete innerhalb von nur 48 Stunden, 15.000 seit Jahresanfang – und wer weiß, wie viele noch über das Mittelmeer kommen von den „mehr als 500.000 Flüchtlingen und Migranten“, die Italiens Behörden derzeit bereits abfahrbereit allein in Libyen vermuten. Wieder einmal hat Italiens Innenminister Angelino Alfano Alarm geschlagen: Denn es wird Frühjahr, das Meer glättet sich, die Wetterampel steht auf Grün. Und sie kommen.

Schon der Vergleich zum Vorjahr zeigt, wie dramatisch 2014 werden könnte: Im ersten Vierteljahr 2013 landeten etwa 800 Flüchtlinge an Italiens Küsten, meist in Sizilien. Zwischen Jänner und März des laufenden Jahres waren es etwa fünfzehnmal so viel. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnt: „Das Fortdauern der humanitären Krisen in Zentralafrika und Syrien macht die Voraussage plausibel, dass die Zahlen heuer steigen werden.“

Libysche Schleppergeschäfte

Italiens Innenminister Alfano sagt: „Es ist schwer vorstellbar, dass ein Land das allein bewältigt; die Europäische Union darf sich da nicht zur Seite drehen.“ Alfano sieht in der politischen Instabilität an den Südküsten des Mittelmeers – insbesondere im Hauptdurchgangsland Libyen – das größte Problem für die Eindämmung der Menschenströme aus dem Inneren Afrikas und dem arabische Raum. Wie solle man in dieser Lage zu bilateralen Verträgen kommen?

Italiens Geheimdienste spielen den Medien ihre Sicht der Lage zu: Demnach gibt es unter den bewaffneten Banden, die sich Libyens Anarchie aufteilen, etwa 500, die glänzende Geschäfte mit afrikanischen Schleusern machen und jene Lager unterhalten, in denen an der libyschen Nordküste die nach Europa strebenden Menschen zusammengepfercht werden.

Eines immerhin hat sich geändert: Seit dem Schiffbruch vor Lampedusa im Oktober 2013, bei dem in einem einzigen Augenblick 366 Eritreer ertranken, hat Italien seine Patrouillen im Meer erheblich verstärkt. Das Projekt heißt „Mare Nostrum“ („Unser Meer“), wird von der Marine geführt und kostet jeden Monat neun Millionen Euro. Es soll Boote in Seenot schon frühzeitig aufspüren, was das gemeinsame europäische Grenzschutzprojekt Frontex nicht schafft – und hat tatsächlich bereits Tausende von Migranten vor dem Ertrinken bewahrt.

Nur muss sich Rom jetzt – aus dem kühlen Nordeuropa und EU-Brüssel – ganz neue Kritik anhören. Hieß es bis zur x-ten Tragödie vor Lampedusa, Italien tue nicht genug, um humanitäre Katastrophen abzuwenden, wirft man dem Land heute vor, „Mare Nostrum“ stelle eine Rettungsgarantie für alle dar und locke Einwanderung an. Italiens Geheimdienste – sofern die Zitate in den Medien richtig sind – wollen festgestellt haben, dass wegen des verminderten Risikos die Preise für eine illegale Überfahrt bereits gesunken seien.

Immerhin wollen offenbar mehr Migranten in Italien bleiben als bisher. Die Zahl der Asylanträge sei 2013 um 60 Prozent gestiegen, teilt in seinem aktuellen Jahresbericht das römische Flüchtlingszentrum der Jesuiten mit. Allerdings klafft zwischen der Zahl der Asylanträge (27.830) und der der Bootsmigranten (42.925) immer noch eine Lücke von gut 15.000. Gerade bei den Syrern zeigen sich die Wünsche der Europa-Migranten am deutlichsten: Nur 695 gaben sich 2013 mit Italien zufrieden; dagegen haben 16.317 Syrer in Schweden und 11.851 in Deutschland einen Asylantrag gestellt.

Migranten verdrücken sich

Zwar ist Italien dabei, verstreut über das Land an die 20.000 Dauer-Aufnahmeplätze für Migranten zu schaffen. Das sei, lobt das UNHCR, „ein erster Schritt aus der bisherigen Notstandsverwaltung“ heraus.

Die Flüchtlinge indes gehen ihre eigenen Wege: Allein von den 380, die man im März auf toskanische Städte verteilt hatte, waren binnen Tagen rund 200 verschwunden. Sie schlagen sich, wie viele andere, nach Mittel- und Nordeuropa durch. Denn Italien hat angesichts seiner Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise nicht viel zu bieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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