Demografie: Weltbevölkerung wird immer älter und schrumpft

Die Presse (Clemens Fabry)
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Neue Studie prognostiziert: Ab 2050 sinkt die Zahl der Menschen auch in China, Indien und selbst in Afrika.

Wien. Die Menschen werden älter, immer weniger Kinder kommen nach: Was in Europa längst Realität ist, wird die anderen Kontinente bald ebenfalls mit voller Wucht treffen. In China, Indien und selbst in Afrika wird der Anteil der Alten rapide zunehmen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Magazin "Nature“ ab heute, Montag, in seiner Online-Ausgabe präsentiert. Sie wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem internationalen IIASA-Institut erstellt.

Das Fazit: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Weltbevölkerung schrumpft. Der Höhepunkt werde bei 9,2 Milliarden liegen, schätzt die UNO. Nach der neuen Studie, die auf mehr Daten und Varianten basiert, dürfte aber selbst die Neun-Milliarden-Schwelle gar nicht mehr erreicht werden. Das wahrscheinlichste Szenario: Ab 2070 geht es bergab, auf bis zu 5,5 Milliarden. Das wäre ein Rückgang von 18 Prozent zu den 6,7 Milliarden von heute.

Eine derartige Prognose wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Seit der düsteren Prognose des „Club of Rome“ von 1972 geisterten in den Köpfen der Demografen apokalyptische Visionen von explodierenden Bevölkerungszahlen und einer Welt herum, die ihre Kinder nicht mehr ernähren kann.

Wolfgang Lutz, Co-Autor und Leiter des Instituts für Demografie an der ÖAW, erinnert sich: „1997 kam die Wende. Da haben wir gezeigt, dass sich die Weltbevölkerung kaum verdoppeln wird. In einer zweiten Studie 2001 gingen wir bereits von einem Rückgang ab Ende des Jahrhunderts aus.“

Noch überraschender war die Entwicklung der Alterung. Bis in die 70er-Jahre glaubte man an eine natürliche Grenze der Lebenserwartung bei 75 Jahren. Ebenso daran, dass die Anzahl der Kinder pro Frau nicht unter 2,0 fallen werde. „Zwei Prognosefehler, die sich gegenseitig verstärkten und zur Krise der Pensionssysteme führten“, erklärt Lutz. Nun stehen Alterungswellen ins Haus: von 2010 bis 2030 in den westlichen Industrieländern und China, dann in Südasien und im Mittleren Osten, ab 2050 auch in Afrika.

Fallbeispiel China

Unerwartet nachhaltig haben die Geburtenkontrollen in China gewirkt. Die Ein-Kind-Politik löste seit den 80er Jahren einen selbstverstärkenden Prozess aus, analysiert Lutz: „In den meisten chinesischen Jungfamilien sind beide Elternteile Einzelkinder. Sie dürften sogar zwei Kinder haben. Doch die neue Generation hat sich längst an Ein-Kind-Familien gewöhnt. Eine weitere Aufweichung des Verbots würde nichts ändern.“ Vorreiter des Trends sind die Großstädte: In Shanghai bekommt eine Frau im Schnitt nur mehr 0,8 Kinder. Noch wächst die Bevölkerung, weil es viele junge Eltern gibt. Doch das werde sich in den nächsten 20 Jahren ändern.

Afrika steht am Anfang der Entwicklung. Hier liegt – wie in Europa vor 100 Jahren – auch die Sterberate noch sehr hoch. Sie sinkt als erste und mit ihr die Kindersterblichkeit. Das wirkt einige Jahrzehnte als Gegentrend zu den auch hier fallenden Geburtenzahlen. Vorreiter sind Nord- und Südafrika. Vor allem die bessere Bildung der Frauen beginnt zu greifen – im Gegensatz zu manchen Ländern Zentralafrikas, wo, so Lutz, „durch die von der Weltbank verordneten Sparprogramme die Zahl der Schüler sogar zurückgeht“.

Und in Europa? Nur wenige Länder – Frankreich, Skandinavien, Großbritannien und Irland – reproduzieren ihre Bevölkerung aus eigener Kraft. Ein großzügiges Angebot an Krippenplätzen und finanzielle Förderung spielen hier eine Rolle. Doch auch wenn Österreich solche Anreize übernehme, würde das noch keine Trendwende sichern: „Für viele Junge gehören Kinder nicht mehr zum Lebensplan. Und Wertvorstellungen ändern sich nur sehr langsam.“

http://dx.doi.org/10.1038/nature06516("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2008)

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