Griechenland: „Wohin? Zurück in den Bürgerkrieg?“

(c) EPA (Pantelis Saitas)
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Die Zahl der Asylanträge hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Die Behörden werden der Lage kaum noch Herr.

Athen.Still sitzen die Männer über ihren brodelnden Wasserpfeifen. Eine junge Somalierin bereitet in der winzigen Küche ein Nudelgericht zu. Die kleine Kneipe in der engen Xouthou Straße mitten im Zentrum von Athen ist Treffpunkt der Afrikaner. Eine kleine Insel sozialen Lebens in einem Meer von Armut, Unsicherheit und Verzweiflung. Beim Tee beginnen die Männer zu erzählen, die immer gleiche Geschichte: Illegal sind sie nach Griechenland gekommen auf ihrer Flucht vor Bürgerkrieg und Verfolgung oder schlicht vor der Armut.

Meist türkische Schlepper haben sie auf einer Insel der Ägäis abgesetzt, von der griechischen Küstenwache sind sie dann aufgegriffen, zunächst in die obligatorische Verwaltungshaft überstellt worden. In den Auffanglagern auf Chios, Lesbos oder Samos hat man ihre Personalien für die europäischen Datenbanken aufgenommen, sie nach drei Monaten mit einem Fahrschein nach Piräus und einem Papier entlassen, das sie auffordert, das Land innerhalb von 30 Tagen zu verlassen.

20 Leute in kleinem Raum

„Wohin denn?“, fragt Ibrahim, ein 22-jähriger Tschadi. „Zurück in den Bürgerkrieg?“ Seine 30 Tage sind seit Monaten abgelaufen. Seitdem er aus Samos nach Athen gekommen ist, haust er über der Kneipe in der Xouthou-Straße. „Willst du mal sehen?“ Wir steigen das Treppenhaus hinauf. Ibrahim öffnet eine schmutzige Tür in einen möbellosen Raum von ca. 15 Quadratmetern. Ein durchdringender Gestank nach Schweiß, Essensdunst und Schimmel schlägt uns entgegen. Auf dem Boden nur Decken und ein paar Matratzen. „260 Euro kostet das im Monat“, sagt er, „da schlafen manchmal 20 Leute.“

Fast alle der Illegalen hier sehen Griechenland nur als Transit nach Mittel- und Nordeuropa, denn da, das hören sie von Schleppern und Verwandten, „ist alles besser“. Seitdem der Vertrag von Dublin greift, mit dem der Flüchtlingsansturm hauptsächlich auf die Länder mit Außengrenzen in Ost- und Südeuropa abgewälzt wird, fühlen sich viele „Illegale“ aber in der Falle: Schaffen sie es in ein nordeuropäisches Land und ihnen wird nachgewiesen, dass sie die EU in Griechenland (als „erstes sicheres Land“) betreten haben, werden sie wieder zurückgeschickt.

Sicherung der EU-Außengrenze

Der offizielle Auftrag aus Athen und Brüssel lautet: Sicherung der EU-Außengrenze unter Wahrung der Sicherheit für Leib und Leben der Flüchtlinge. Dass die keineswegs immer gewahrt bleibe, hat eine Studie der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl angeprangert. Gemeinsam mit einer Gruppe griechischer Anwälte nahm sie monatelang Aussagen von Flüchtlingen auf, die angaben, von der Küstenwache beim Zurückdrängen in türkische Gewässer in lebensbedrohliche Situationen gebracht, auf Felseninseln abgesetzt und auch geprügelt worden zu sein. Die Küstenwache weist alle Vorwürfe von sich.

Die Behörden können der Lage kaum noch Herr werden. Die westgriechische Hafenstadt Patras etwa ist seit über zehn Jahren das Tor der Flüchtlinge nach Westeuropa. Vor allem Afghanen kommen von den Inseln direkt hierher. Es sind ausschließlich junge Männer, manche noch Kinder, die sich in einem selbstgebastelten Transitlager notdürftig etabliert haben. Die ca. 50 Papphütten stehen um einen Platz aufgereiht, auf dem die größte als Moschee dient. In einige führen Kabel von den nächstgelegenen Straßenlaternen. Je näher man dem Lager kommt, desto erbärmlicher stinkt es. Müllberge versinken im Schlamm, den der letzte Regen hinterlassen hat. Kein Wasser, keine Toiletten, gekocht wird auf offenen Feuerstellen in Konservendosen.

Katz- und Mausspiel mit Polizei

Alle seien geflohen, vor den Taliban, vor dem Krieg. Selbst für diese Unterkunft müssen die Männer ein paar Euro an eine „Verwaltung“ bezahlen. Wer gar nichts hat, schläft an der Uferpromenade, auf Baustellen, in Parks. Nach Schätzungen der Behörden halten sich momentan ca. 2000 illegale Migranten in der Stadt auf.

Bis vor kurzem lieferten sie sich ein tägliches Katz- und Mausspiel mit der Hafenpolizei. Offen und am helllichten Tage versuchten sie immer verzweifelter, sich in Hohlräume unter die LKW zu zwängen, Laderäume aufzubrechen oder sich direkt an Bord der Fähren zu verstecken. Hunderte belagerten die acht Kilometer lange Stacheldrahtumzäunung, um den richtigen Moment zum Klettern abzupassen.

Nun haben die Afghanen eine Frist von einer Woche bekommen, ihr selbst aufgebautes Lager zu räumen. Die Reedereien hatten längst zur Selbsthilfe gegriffen und Sicherheitsdienste engagiert, die direkt an der Laderampe die blinden Passagiere aus ihren Verstecken ziehen. 100 Afghanen wurden festgenommen. Abgeschoben werden können sie nicht, Athen unterhält mit Kabul keine diplomatischen Beziehungen, die Türkei nimmt sie nicht. Also, wohin? Darauf gibt der Vertrag von Dublin keine praktikable Antwort.

LEXIKON.

Rasant gestiegen ist in
Griechenland die Zahl der Neuankömmlinge (2007 waren es 112.000 Migranten – 12,4% mehr als 2006). Die Zahl der Asylanträge hat sich im Jahr 2007
mit 25.113 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Positiv entschieden wurden nach
jahrelangen Verfahren lediglich 140 Anträge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2008)

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