Brasilien: Raus aus dem Dschungel, Gringos!

(c) AP (Alberto Cesar)
  • Drucken

Die Regierung will die zahllosen teils obskuren NGOs strenger kontrollieren, die in der Amazonasregion aktiv sind.

RIO DE JANEIRO. Brasiliens Regierung will im Regenwald „aufräumen: Bald soll ein Gesetz vor den Kongress kommen, das den Aufenthalt von Ausländern in Amazonien erschwert und die Tätigkeit nationaler und internationaler Hilfsorganisationen strenger Kontrolle unterwirft. Es dürfte Zustimmung finden, denn in Brasilien ist das Gefühl verbreitet, dass vor allem fremde Missionare, Entwicklungshelfer und andere „Experten“ im Dschungel ihr eigenes Süppchen kochen: Vor allem, dass diese „Gringos“ die Indios aufwiegeln, und dass Amazonien am Ende „internationalisiert“ werden könnte.

Den Stein ins Rollen brachte jüngst General Augusto Pereira, Militärchef Amazoniens: Er geißelte die Indio-Politik der Regierung als „Chaos“, da sie dem bunten Ausländerhaufen in Amazonien freie Hand ließe, mit den Ureinwohnern nach Lust und Laune zu verfahren. Man drohe die Kontrolle über das Land zu verlieren.

Diese Töne sind nicht neu: Oft zitieren Nationalisten ausländische Stimmen, die angeblich fordern, Amazonien unter internationale Kuratel zu stellen, da Brasilien es nicht schaffe, den für das Klima wichtigen Regenwald zu schützen.

Historisches Trauma

Die Angst, Fremde würden Naturschätze rauben, sitzt tief: Schließlich hatte um 1876 der Brite Henry Wickham Kautschuksamen außer Landes geschmuggelt, aus denen in Malaya große Plantagen wuchsen, die Brasiliens Urwaldkautschuk vom Markt drängten. Und so stach die Kritik des Generals ins Wespennest: Denn es ging auch darum, ob die Bundesregierung im nördlichen Staat Roraima für 20.000 Macuxi-Indios eine neue Schutzzone von 107 Mio. Hektar markieren lässt, wie es Präsident Lula versprach. Und die Armee fürchtet, dass sich das an Venezuela und Guyana angrenzende Gebiet für unabhängig erklären könnte.

In Wahrheit stehen eher ökonomische Interessen hinter dem Konflikt in dem Wald- und Savannenland, wo Reisbauern und Rancher siedeln. In Roraima (mit 224.300 km2 fast so groß wie Großbritannien) hat sich Wut auf die Indios aufgestaut: Gut 46.000 Indios stehen 32 Schutzzonen zu, die die Hälfte des Gebiets ausmachen; dort dürfen die 320.000 Nichtindianer nicht hin.

Oft kommt es zu Scharmützeln zwischen Goldsuchern, Farmern und Holzfällern mit Indios. Der staatliche Indianerschutzdienst „Funai“ und die Umweltbehörden sind weit weg: Sie hocken lieber in den klimatisierten Büros der Provinzhauptstadt Boa Vista.

Was in Roraima passiert, gilt für ganz Amazonien: Am Papier ist ein Viertel dieses Gebiets, in das Europa leicht passt, den 500.000 Ureinwohnern reserviert; von denen leben aber nicht mehr viele so, wie es Ethnologen gern hätten. Und so laufen die hunderten NGOs zum Schutz ihrer Ureinwohner der Realität hinterher: Kein europäischer Ethnologe kann etwa die Indios hindern, Motorsägen zu kaufen. Zyniker sagen, dass es in Amazonien mehr NGOs als Indianerdörfer gebe. Auf 1000 Indios kommt ein besorgter Gringo, der Geld ausgibt, damit die Indios bleiben, wie sie sind: also Urvölker.

Seltsame Christen-Missionare

Was diese NGOs eigentlich tun, weiß kaum jemand. In Brasilien soll es 500.000 „Bürgerinitiativen“ geben – darunter sind sicher Tausende, die nur verkappte Lobby-Klubs sind. Wer kontrolliert schon die Legitimität all dieser Gruppen und Grüppchen? Die NGO-Industrie treibt in der Tat in Amazonien bizarre Blüten, etwa, wenn dort obskure Missionsgesellschaften aus Nordamerika den knapp beschürzten Kindern Gottes erst einmal Scham einimpfen, um sie von der Sünde erlösen zu können.

Die Absicht der Bundesregierung, darüber zu wachen, wer sich in Amazonien herumtreibt, ist gerechtfertigt. Sie wäre es aber noch mehr, würden sie und die Regierungen der Amazonas-Bundesstaaten eine anständige Integrationspolitik für die Indios und echten Umweltschutz betreiben.

HINTERGRUND

Im Amazonas-Gebiet sind zahlreiche, oft ausländische Nicht-Regierungsorganisationen tätig, die sich vor allem Naturschutz, Entwicklung und Rechte Indigener auf die Fahnen geschrieben haben. Nicht wenige treiben freilich eher suspekte Dinge, etwa christliche Missionsgruppen aus Nordamerika und militante Umweltschützer. Manche NGOs sind auch Instrumente von Unternehmergruppen, die den Dschungel ausbeuten wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.