In 177 Metern Entfernung könne man eine Frauenstimme nicht eindeutig vernehmen. Auch die Beziehung von Pistorius zu Steenkamp war erneut Thema.
Nachdem die Schuldfähigkeit von Oscar Pistorius am Montag geklärt wurde, ging es am Dienstag im Gericht wieder um Einzelheiten und die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen. Der Akustikexperte Ivan Lin meldete am 35. Prozesstag in Pretoria Zweifel an der Aussage eines Paares aus der Nachbarschaft an, wonach es sich um die Schreie einer Frau gehandelt habe - also offenbar um die des Opfers Reeva Steenkamp.
Es sei aus wissenschaftlicher Sicht sehr unwahrscheinlich, dass aus 177 Metern Entfernung Schreie zu hören gewesen seien, sagte Lin. Und es sei noch unwahrscheinlicher, dass ein Schrei aus der Entfernung genau interpretiert werden könne.
Vier Zeugen hörten Geräusch
Staatsanwalt Gerrie Nel hielt dagegen am Dienstag an seiner Theorie fest, dass die Schreie vom Opfer, Pistorius' Freundin Steenkamp, stammten: "Wir haben vier Zeugen, die das Geräusch einer Frauenstimme identifiziert haben", sagte er. "Ich denke, sie haben ein Geräusch gehört, aber ich kann nicht sagen, ob sie recht oder unrecht haben", sagte Lin. Auf Nels Frage, ob Lin meine, dass die Zeugen lügten, sagte der Ingenieur: "Keineswegs." Die Verteidigung besteht darauf, dass es Pistorius war, der in der Tatnacht schrie.
Als Zeuge der Verteidigung sagte dann der langjährige Manager des Angeklagten, Pete Van Zyl, aus. Er beschrieb Pistorius als einen Mann mit einem "erhöhten Wahrnehmungssinn". Der Sportler habe Angst vor Verbrechen, sei aber kein aggressiver Mann. "Ich kann nur von zwei bestimmten Situationen berichten, in denen Pistorius seine Nerven verloren hat", sagte Van Zyl. "Ich würde das nicht als aggressiv bezeichnen."
"Liebend und fürsorglich"
Pistorius' Beziehung zu Steenkamp bezeichnete der Ex-Manager als "liebend und fürsorglich". Pistorius habe seine Freundin stärker an sich binden wollen als jede andere Partnerin zuvor. Die Äußerungen schienen Pistorius emotional zu berühren, er rieb sich mit seinen Händen über das Gesicht. Seine jüngere Schwester Aimee ging während einer Pause zu ihrem Bruder und umarmte ihn.
Pistorius muss sich seit Anfang März wegen der Tötung seiner Freundin im Februar 2013 vor Gericht verantworten. Die Anklage wirft ihm Mord vor. Er beteuert, im Glauben an einen Einbrecher in Panik durch die geschlossene Toilettentür gefeuert zu haben, wo sich aber statt eines Einbrechers seine Freundin befand.
Der Prozess war am Montag nach gut einmonatiger Pause fortgesetzt worden. Während dieses Zeitraums hatte sich der Angeklagte psychiatrischen Untersuchungen unterziehen müssen. In einem Gutachten wurde ihm bescheinigt, vollständig schuldfähig zu sein. Der Prozess wird am Mittwoch, dem 36. Verhandlungstag seit dem 3. März, mit weiteren Zeugen der Verteidigung fortgesetzt.
(APA/AFP/dpa)