Raumfahrt: „Gefährlich, nur die Erde zu haben“

(c) ESA Stephane CORVAJA
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Samantha Cristoforetti fliegt als dritte Europäerin ins All. Im ESA-Ausbildungszentrum in Köln sprach die Italienerin über Aufgaben, Worst-Case-Szenarien und die Eroberung des Mars.

Wie geht es Ihnen kurz vor dem Aufbruch zur Raumstation ISS?

Samantha Cristoforetti: Ich habe gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Wir haben sehr viel zu tun, es wird immer stressiger. Aber ich freu' mich drauf, es wird auch immer realer. Es wird einem bewusst: In drei Monaten bin ich da oben.

Haben Sie auch vor etwas Angst?

Vor keiner speziellen Sache. Ich habe natürlich sehr viel Respekt vor der Erfahrung. Ich bin keine, die sagt, ach Gott, das wird einfach. Ich bin mir bewusst, dass es durchaus Sachen geben kann, die schieflaufen. Das wird auch der Fall sein. Sechs Monate da oben – da wird etwas schieflaufen, ich werde Fehler machen, keiner arbeitet sechs Monate lang fehlerfrei.

Man muss sich vorab ja mit allen Worst-Case-Szenarien auseinandersetzen, sich die schlimmsten Dinge vorstellen.

Das ist der Hauptteil des Trainings. Was die Raumstation angeht, sind die Szenarien ein Feuer an Bord, ein Druckabfall, das heißt man verliert Atmosphäre an Bord, oder ein Verlust von Ammoniak. Der fließt draußen zur Kühlung, und es gibt Szenarien, wo er in die Raumstation eindringt. Das ist sehr gefährlich. Das sind die wichtigsten Notfallszenarien. Die trainieren wir, damit wir schnell reagieren. Dann gibt es Sojus, die Raumkapsel, mit der man in die Raumstation kommt und zurück. Das sind die gefährlichsten Phasen der Mission: der Start, das Andocken an die Raumstation, der Wiedereintritt. Da kommen sehr große Energien ins Spiel, die das Ganze gefährlich machen. Von den zweieinhalb Jahren Training gehörte ein gutes Jahr diesen relativ kurzen Phasen Start und Wiedereintritt. Und dann trainieren wir noch alle möglichen Pannen der Systeme.

Was war für Sie das Spannendste?

Zwei Dinge, würde ich sagen. Erstens das Sojustraining. Ich bin Pilotin von Beruf und Ingenieurin, und ich habe diese Rolle auf der Sojus als Bordingenieurin. Das ist ein bisschen beides: Als Bordingenieur muss man das System sehr, sehr gut kennen, aber man ist auch ein Backup des Kommandanten. Und dann das Unterwassertraining für die Weltraumspaziergänge. Das war das Spannendste und auf jeden Fall das Schwierigste.

Was werden Ihre Aufgaben auf der ISS sein? Werden Sie auch Weltraumspaziergänge machen?

In sechs Monaten muss man alles Mögliche machen. Spaziergänge sind im Moment nicht geplant, wobei die ganze Planung schon wieder neu erarbeitet wird. Es gab zwei, die im August verschoben worden sind, und man weiß noch nicht genau, zu welchem Zeitpunkt sie gemacht werden können. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich mich natürlich sehr freuen. Ansonsten macht man Wissenschaft an Bord, Wartung der Systeme, man muss die Raumstation in ihrem Zustand erhalten. Wir machen medizinische Tätigkeiten, Tests, die periodisch gemacht werden müssen, um den Gesundheitszustand der Crew zu beobachten. Und es gibt Logistikaufgaben, wenn ein Raumfrachter kommt oder wegfliegt.

Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht, Sie würden gerne Astronautin werden?

Schon in der Kindheit. Schwer zu sagen, es ist keine bestimmte Erfahrung, an die ich mich erinnern kann. Die Lehrer haben sicher eine Rolle gespielt. Und ich bin in einem Dorf in den Alpen aufgewachsen, da war der Himmel sehr schön, ich fand die Sterne faszinierend. Auch Science-Fiction-Bücher habe ich gelesen.

Wann ist der Traum dann konkret geworden? Mit Ihrem Studium der Weltraumtechnik?

Nein, ich habe schon in der Schule Russisch gelernt und einen Tauchkurs gemacht.

Sie sind erst die dritte europäische Astronautin. Gibt es zu wenig Frauen im All?

Insgesamt sind es nicht so wenige. Zehn Prozent, aber da sind die Russen mitgezählt, die traditionell ein anderes Verhältnis zwischen Männern und Frauen haben. Aber Frauen haben in den Achtzigerjahren schon alles gemacht, insofern spüre ich keinen Druck auf mir. In Europa liegt es vielleicht daran, dass die Astronauten in verschiedenen Ländern ausgewählt werden.

Würden Sie gern zum Mars, von dem Sie ein Stückchen als Geschenk des Österreichischen Weltraumforums mit zur ISS nehmen?

Es würde mich freuen, aber ob das noch in die Zeit meiner professionellen Tätigkeit fällt, weiß ich nicht. Ich glaube, es ist ein selbstverständliches Ziel, dass wir irgendwann lernen, auf diesem Planeten zu wohnen. Als Menschheit ist es gefährlich, nur auf einem Planeten zu leben.

Was werden Sie denn am meisten vermissen?

(Lacht.) Alle fragen mich das. Ich werde mich überraschen lassen. Es könnte etwas zu essen sein oder der Kontakt mit Menschen, Spaziergänge in die Natur oder eine Dusche ... Ich weiß es nicht.

ZUR PERSON

Samantha Cristoforetti(37) wurde in Mailand geboren. Sie studierte Technik an der TU München und ist Kampfpilotin in der italienischen Air Force. 2009 wurde sie von der European Space Agency (ESA) unter 8000 Bewerbern als dritte Frau als Astronautin ausgewählt und
u.a. im Ausbildungszentrum der ESA in Köln ausgebildet. Ende November soll sie zu einer sechsmonatigen Langzeitmission aufbrechen. [ ESA/Corvaja]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2014)

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