Deutschland: Aufruhr wegen „Scharia-Polizei“

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Kanzlerin Merkel für Härte gegen islamische „Sittenwächter“ in Wuppertal. Bayerns Innenminister Herrmann will „Einträufeln von Gift“ in die Gesellschaft bekämpfen.

Berlin/Wuppertal. Nach dem Auffliegen einer selbst ernannten „Scharia-Polizei“ in der deutschen Stadt Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) am Wochenende hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein entschiedenes Vorgehen gegen die obskuren „Sittenwächter“ verlangt: „Es gibt ein Gewaltmonopol des Staats“, sagte sie am Montagabend dem Fernsehsender Sat1. „Niemand anderes ist befugt, sich in die Rolle der Polizei hineinzuschleichen.“ Deshalb müsse hier den Anfängen gewehrt werden.

Eine selbst ernannte „Scharia-Polizei“ war nach Polizeiangaben kürzlich mehrfach, insbesondere in der Nacht, in Wuppertal aufgetreten. Die in der Regel bärtigen Islamisten im Alter zwischen 19 und 33 Jahren trugen demnach orangefarbene Westen mit dem englischen Aufdruck „Shariah Police“, zogen durch die Straßen, durch Lokale und Spielhallen und versuchten nach Polizeiangaben, junge Leute „zu beeinflussen und anzuwerben“. Sie hielten vor allem muslimische Jugendliche an, drückten ihnen Flyer in die Hand, warnten, bedrängten und nötigten sie. Denn vieles, womit die deutsche Jugend ihre Freizeit verbringt, ist in der radikalen Auslegung des religiösen Gesetzes eine Sünde: Alkohol, Zigaretten, Musik, Glücksspiel.

Muslimische Mädchen erzählten im Radio, wie sie eingeschüchtert wurden, weil sie kein Kopftuch trugen. Die Bevölkerung war verunsichert. Die Urheber waren polizeibekannte Anhänger der radikalen Salafisten-Szene. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen haben das Tragen der Westen rasch verboten.

Alles bloß ein Witz?

In den Tagen danach saßen einige der „Polizisten“ indes vor der Kamera und lachten: Es soll alles nur ein Witz gewesen sein. „Alle sind darauf reingefallen“, feixen die beiden Männer mit Bart in einem YouTube-Video. Es sind konkret Sven Lau alias Abu Adam, der Anführer der uniformierten Hüter der muslimischen Ordnung, und der berüchtigte fanatische Prediger Pierre Vogel, ebenfalls ein deutscher Islamkonvertit. Die beiden Salafisten freuen sich offenbar diebisch über ihre „gelungene Werbeaktion“ – allerdings wird auch gemutmaßt, dass die selbst erklärten Sittenwächter ob der enormen Kritik an ihrer Aktion vorerst einfach nur den Kopf einziehen. Ein Spaß war der Spuk von Wuppertal sicher nicht, manche Beobachter sprachen von „Ausloten der Grenzen“.

In der Union wurden Gesetzesverschärfungen ins Gespräch gebracht. Bayerns Innenminister, Joachim Herrmann (CSU), fordert einen Sondergipfel der Innenminister von Bund und Ländern. Man müsse verhindern, dass islamistische Strömungen nicht „ihr Gift langsam und mit Bedacht in unsere Gesellschaft einträufeln“, so Herrmann. Gegebenenfalls müsse das Straf-, Versammlungs- oder Ausländerrecht reformiert werden.

Auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte, es handle sich um eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die darauf abziele, zu provozieren und einen Teil der Bevölkerung einzuschüchtern. Sollten Gerichte anderer Auffassung sein, „werden wir das rechtliche Instrumentarium erweitern müssen, um diese Aktionen zu stoppen“. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte, es dürfe niemand außer dem Rechtsstaat in das öffentliche Leben eingreifen. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte, dass man eine illegale Paralleljustiz nicht dulde.

Die Polizeigewerkschaft wies darauf hin, dass sich derartige Vorfälle wiederholen könnten. „Man darf sich nicht davon beruhigen lassen, wenn sich die jetzt erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückziehen“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt. Die Salafisten könnten ihre Aktion als Probelauf für künftige Aktivitäten betrachten.

Pein für Moslemverbände

Unangenehm berührt von der „schrillen und völlig unsinnigen Aktion“ zeigen sich derweil auch die Verbände der Muslime. Sie sprechen von „Zweckentfremdung ihrer Religion“, die ihnen ungemein schade. Tatsächlich machen die Salafisten nur 0,1 Prozent aller Muslime in Deutschland aus.

Es besteht große Einigkeit darüber, dass die Provokation in Wuppertal nicht durch die Religionsfreiheit im Grundgesetz gedeckt war: Jeder kann sich an seine Glaubensregeln halten und darf – in Grenzen – auch friedlich dafür werben. Aber keiner dürfe jemand anderem seinen Glauben aufzwingen, heißt es. (gau/wg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2014)

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