Brasilien: Isoliert lebender Indio-Stamm entdeckt

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Im Amazonasbecken im Grenzgebiet zu Peru wurden Mitglieder einer bisher völlig abgeschieden lebenden Indigenen-Gruppe aus der Luft fotografiert.

RIO DE JANEIRO/ WIEN. Zu Beginn des dritten Jahrtausends sind diese Bilder eigentlich recht unglaublich und erinnern unbefangene Beobachter an Szenen aus dem Steinzeit-Film „Am Anfang war das Feuer“ von Jean-Jacques Annaud: Eine winzige Siedlung mit aus Pflanzenwerk gefertigten Hütten mitten im Urwald, dazwischen springen Männer mit wilder Haartracht herum, die ihre Körper rot oder schwärzlich bemalt haben. Sie blicken offenbar wütend, vielleicht auch verängstigt, gen Himmel und gestikulieren wild. Manche schießen Pfeile in die Luft – in Richtung der Beobachter, die eben diese Fotos jüngst gemacht haben.

Die Bilder gelangen jüngst Mitarbeitern der brasilianischen Indigenen-Behörde „Funai“ (Fundação Nacional do Índio): Sie wurden von Flugzeugen aus gemacht, die in niedriger Höhe über den dichten, dampfenden Amazonasdschungel in der Westprovinz Acre an der Grenze zu Peru flogen.

Die Gruppe, deren Name angeblich unbekannt ist und die scheinbar noch nie Kontakt zur modernen Außenwelt hatte, lebt laut dem Funai-Experten José Carlos dos Reis Meirelles in einem Schutzgebiet, in dem es bekanntermaßen drei weitere Völker gibt, die Kontakt mit Fremden meiden.

Die heimlichen „Begleiter“

Ihre Existenz an sich sei nicht neu, sagt Meirelles: Funai habe in dieser Region seit 20 Jahren vier isolierte Völker unbemerkt „begleitet“. Man kontaktiere sie nicht, weil man ihre Autonomie bewahren wolle. Die Fotos habe man gemacht, um der Welt zu zeigen, dass es solche zurückgezogen lebenden Völker wirklich gibt. Das sei sehr wichtig, denn es gebe Leute, die das heute bezweifelten.

Diese „unkontaktierten“ Gruppen im Schutzgebiet von Acre seien überdies gefährdet: Jenseits der Grenze in Peru würden nämlich illegale Abholzungen schon in Bälde dazu führen, dass dort lebende, bisher isolierte Indio-Stämme über die Grenze verdrängt würden; das könnte zu Konflikten mit den in Acre Ansässigen führen.

Weltweit gibt es mehr als 100 unkontaktierter Stämme, mehr als die Hälfte davon in Brasilien und Peru. In den vergangenen Jahrzehnten wurden auch immer wieder „neue“ Menschengruppen entdeckt: So stießen im Zweiten Weltkrieg US-Truppen auf Papua-Neuguinea auf „Steinzeit-Stämme“.

50 Jahre Schmollen im Dschungel

Mitte 2007 gab es Schlagzeilen, als im Amazonasbecken Brasiliens Angehörige eines scheinbar unbekanntes Volkes aus dem Wald kamen und ein Dorf besuchten. Es stellte sich heraus, dass dieses Volk, das sich „Metyktire“ nennt (Männer tragen eine Penis-Hülle und Scheiben in der Unterlippe, Frauen haben rasierte Köpfe) nicht „neu“, sondern lange verschollen war: In den 50er-Jahren hatten sich dessen damalige Mitglieder nach einem Streit mit Verwandten aus Groll tief in den Dschungel zurückgezogen.

Das Aufeinandertreffen unkontaktierter Gruppen etwa mit Holzfällern ist für beide Seiten gefährlich: Die Indios könnten mit für sie ungewohnten Krankheiten wie Grippe angesteckt werden, die sie auslöschen könnten; umgekehrt reagieren isolierte Indigene oft mit Gewalt auf Eindringlinge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2008)

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