Georgien: Vom Leben im Casino, das ein Bordell war

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Sie träumen vom großen Geld oder von der Karriere – und landen nur allzu oft in den Händen von Menschenhändlern. Georgische Jugendliche und ihr Leben in der tristen Realität.

BATUMI/KUTAISI. Der Schritt, ins Ausland zu gehen, war ein großer. Doch anstatt in die rosige Zukunft führte er die junge Frau mit den dunklen Augen in den Abgrund. Starr sitzt sie auf dem Holzhocker in der grün gekachelten Küche in Kutaisi, der zweitgrößten Stadt Georgiens. Ihren Kaffee hat sie nicht angerührt. Stockend erzählt sie, warum das Angebot, in einem Casino zu arbeiten, so verlockend war. Und über den Moment, als sie dahinter kam, dass die Männer ihr Geld nicht an den Spieltischen ausgaben, sondern für Sex mit ihr und den anderen Mädchen.

Natja, eine junge Frau aus einem Dorf im Land am Kaukasus, ist in die falschen Hände geraten. Skrupellose Geschäftemacher verkauften ihr Leben für 1000 Dollar an ein Bordell in der Türkei. Dort wurde der 31-Jährigen der Pass abgenommen, sie wurde bedroht und zweieinhalb Monate lang als Sex-Sklavin gehalten. Frei kam sie nur, weil sie todkrank wurde und man mit ihr keine Scherereien haben wollte. Heute lebt Natja wieder in ihrem Dorf nahe Kutaisi. So wie früher ist aber nichts mehr.

Ein ähnliches Schicksal wie Natja erleiden weltweit laut Schätzungen der UNO an die 2,5 Mio. Frauen, Männer und Kinder. Sie werden gekauft und verkauft, zu Prostitution, Arbeit oder Heirat gezwungen. Der Handel mit der Ware Mensch ist einer der lukrativsten Zweige des organisierten Verbrechens geworden. Die UNO vermutet, dass weltweit Profite von 30 Mrd. US-Dollar gemacht werden.

„Georgien ist sehr fragil“

Besonders anfällig für das globale Geschäft mit den Menschen sei die Bevölkerung in den Ex-Sowjetrepubliken wie Georgien, meint Teona Kupunia, Expertin für Menschenhandel der Hilfsorganisation „World Vision“. 1991 sagte sich das kleine Land vom großen Bruder Russland los und kämpft seither gegen stagnierende Wirtschaft und blühende Korruption. Konflikte zwischen Tiflis und Moskau stehen an der Tagesordnung, wie das Tauziehen um die von Georgien abtrünnige Region Abchasien. „Georgien ist noch immer ein sehr fragiler Staat“, erklärt Kupunia.

Auf der Suche nach Arbeit hat ein Viertel der georgischen Bevölkerung das Land bereits verlassen. Dass so manche Georgier in die Fallen von Menschenhändlern tappen, überrascht bei der großen Zahl an Ausreisewilligen kaum. Nur allzu oft landen Frauen in einem der Bordelle im Nachbarland Türkei, in Griechenland oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Männer werden oft im Land selbst zu Arbeit versklavt und Kinder zum Betteln gezwungen.

Aufgeregt schwirren die beiden Teenager durch die kahlen Gänge des desolaten Gebäudes. Stolz zeigen die Schwestern Nino und Nunu Balashvili ihr Zuhause her, ein spärlich eingerichtetes Sechs-Bett-Zimmer im Urechi-Waisenhaus in Batumi am Schwarzen Meer. Hier wird das gesamte soziale Dilemma klar, denn bald muss die Ältere der beiden, die 18-jährige Nino, das Zimmer räumen. Mit 18 Jahren heißt es Platz machen für Jüngere. Nino wird sich einen Job suchen müssen, draußen in der harschen Realität des Arbeitsmarktes.

Eigentlich wollte sie Fotomodell werden. Bei der „Miss Georgien“-Wahl habe es dann doch nicht so geklappt, erzählt sie. Mädchen wie Nino und Nunu, die in einem großen staatlichen Heim groß geworden sind, bilden jene Masse, aus der Menschenhändler schöpfen.

Doch wer sind diese Menschenhändler, die skrupellos agieren? Die meisten von ihnen sind Frauen. Sie suchen sich ihre Opfer im engeren Bekanntenkreis aus, junge Frauen aus schwierigen Familienverhältnissen, die aus einer Notlage heraus oder aus Naivität anfänglich mitmachen.

Freunden von Freunden vertraut man in der georgischen Gesellschaft, wo so vieles von Familienbanden und Clanverbindungen abhängt. So geht es Natja nicht in den Kopf, dass es eine alte Bekannte war, die aus ihrem Leben so leichtfertig Profite schlug und sie den Grausamkeiten der Freier aussetzte.

„Normales“ Familienleben üben

Menschen wie Natja und Jugendlichen wie Nino eine Perspektive durch Ausbildung zu verschaffen, haben sich Hilfsorganisationen und auch der Staat vorgenommen. Dazu gehört, in Heimen aufgewachsenen Kindern die Chance auf ein „normales“ Familienleben zu geben. Sie wohnen für einige Zeit bei Pflegeeltern, bevor sie in die Welt entlassen werden. Finanzielle Unterstützung dafür kommt von „World Vision Österreich“.

Als Natja erzählt, dass sie sich zur Friseurin hat ausbilden lassen, huscht erstmals ein Lächeln über ihr Gesicht. Und vielleicht könne sie ja einmal den Frisier-Salon eröffnen, von dem sie träumt. Und vergessen, was in diesem Casino in der Türkei geschehen ist.

AUF EINEN BLICK

Georgien: Im 69.000 Quadratkilometer großen Land am Kaukasus leben 4,7 Millionen Menschen, mehr als eine Million Georgier sind ausgewandert. Von 2000 bis 2004 haben 35.347 Georgier Asyl im Ausland beantragt, mehr als 5000 von ihnen in Österreich. Der Durchschnittslohn eines Arbeiters beträgt rund 150 Euro im Monat. Konfliktherde im Land sind die Regionen Südossetien und Abchasien, die sich von der Regierung in Tiflis losgesagt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2008)

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