Balkan: „Der Krieg ist nur auf dem Papier vorbei“

(c) EPA (Fehim Demir)
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Die im Jugoslawien-Krieg zerstörte und später wieder errichtete Brücke von Mostar lockt Touristen nach Bosnien-Herzegowina. Doch einen kann sie die geteilte Stadt kaum.

Mostar. Unten im Tal gurgeln leise türkisfarbene Fluten. Oben auf der Brücke brütet die Mittagshitze über dem glatten Gestein. Gemächlich trotten Touristen über das sich wölbende Weltwunder, blicken durch dunkle Sonnenbrillen respektvoll in die Tiefe. Das Brückenspringen sei in Mostar eine alte Tradition, berichtet der braun gebrannte Admir Delic, der im Schatten eines Sonnenschirms auf Kunden wartet. Wie seine Kollegen sei auch er „von Kindesbeinen“ an gesprungen. Die neue Brücke sei genauso wie die alte, versichert er – und blickt zufrieden auf das 27 Meter hohe Bogenwunder.

Gestrüpp wuchert aus den Ruinen, die nur wenige hundert Meter vom Touristenmagneten der Altstadt entfernt noch immer von den Schrecken des unbarmherzigen Bürgerkriegs der 90er-Jahre zeugen. Die Brücke sei wieder aufgebaut, doch die Stadt nicht mehr dieselbe, sagt im schmucklosen Rathaus seufzend Stadtsprecherin Inez Kajic. „Das Leben ist sehr schwierig geworden. Der Krieg hat einfach alles verändert.“

Über vier Jahrhunderte spannte sich das von den Türken erbaute Wunderwerk unbeschadet über die Neretva. Doch der Bosnien-Krieg sollte auch das Wahrzeichen der vermeintlichen Modellstadt für ein Miteinander der Kulturen nicht verschonen. Zunächst nahm 1992 serbische Artillerie die überwiegend von muslimischen Bosniaken bewohnte Altstadt ins Visier. Als Truppen der bosnischen Kroaten den Anschluss der Herzegowina an Kroatien zu erzwingen suchten, begann in Mostar ein Straßenkrieg. Nach kroatischem Dauerbeschuss sackte die geschundene Brücke am 9. November 1993 in die Tiefe: Ihr bauxithaltiger Mörtel ließ das Wasser blutrot schäumen.

Die vergilbten Ansichten zerstörter Kirchen, Hotels und Bürgerhäuser prangen im Konferenz-Saal des Rathaus. Die Aussöhnung benötige Zeit, sagt Bürgermeister Ljubo Beslic. Die Brücke werde von allen der 75.000 Bewohner geschätzt, versichert der Kroate: „Denn sie ist nicht nur das Zugpferd für den Tourismus, sondern auch das Symbol unserer Stadt und ihres kulturellen Reichtums.“

Jeder gegen jeden

Doch von der verkündeten Versöhnung kann nach Ansicht von Mirsad Behrim, Journalist beim lokalen TV-Sender „RTM“, keine Rede sein. „Der Krieg ist nur auf dem Papier vorbei“, sagt der Bosniake. Politiker beider Seiten würden ethnische Spannungen eher anheizen: „Sie sind nicht nur nach Vorteilen für sich und die eigene Volksgruppe aus, sondern versuchen auch, der anderen Seite zu schaden.“

Als „Brückenschlag der Verständigung“ feierten Festredner aus aller Welt vor vier Jahren die Neueröffnung der mit internationaler Hilfe aufgebauten Brücke. Dabei wohnten um beide ihrer Zugänge eigentlich immer Muslime. Die Kriegsfront am Bulevar Kolodvorska lag weiter westlich – und wird noch immer von durchsiebten Fassaden markiert.

Doch mit der Verständigung ist's nicht weit her: Im Juni konnte nach dem EM-Viertelfinale zwischen Kroatien und der Türkei ein Aufgebot von 1000 Polizisten eine Massenschlägerei zwischen Kroaten und Bosniaken nicht verhindern.

Am Durchbrechen des „Teufelskreises des gegenseitigen Misstrauens“ hätten viele Würdenträger kein Interesse, klagt Journalist Behrim. Dabei hat die Stadt eigentlich genug Probleme. Die meisten Touristen bleiben nur eine Nacht oder wenige Stunden in Mostar.

Behrim macht dafür auch den Mangel an einem deutlichen Tourismuskonzept verantwortlich: „Die Altstadt ist wie eine kleine Insel. Aber gehen Besucher drei Straßen weiter, treffen sie auf Armut, Ruinen, Bettler und Müll. Warum sollte hier jemand länger bleiben?“

„Front bleibt im Kopf“

Erwartungsfroh lassen die Passanten auf der Brücke die Kameras klicken. Doch zum Sprung setzt Admir Delic nur für 25 Euro an. Laut dem Berufsspringer gibt es 13 Jahre nach Kriegsende „keine größeren Probleme mehr“: „Kroaten kommen auf unsere Seite, wir auf die andere. Das ist normal. Aber einige haben leider noch immer die Front im Kopf.“

LEXIKON

Stari Most, die „Alte Brücke“ in Mostar, wurde im 16. Jahrhundert von den Osmanen erbaut und 1993 im Bosnien-Krieg zerstört. Nach acht Jahren Rekonstruktionsarbeiten wurde das Bauwerk, das heute Unesco-Weltkulturerbe ist, am 23. Juli 2004 wiedereröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2008)

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