Babymilch-Skandal erschüttert China

Spital in China
Spital in China(c) Reuters (STRINGER SHANGHAI)
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Zwei Säuglinge starben, mehr als 1000 bekamen Nierensteine durch verunreinigte Babynahrung. Die Pekinger Regierung hat einen Krisenstab gebildet.

Peking. Mit ihren Säuglingen auf dem Arm drängen sich besorgte Eltern in den Krankenhäusern Chinas: Zwei Babys sind bereits gestorben, 1235 weitere erkrankt. Viele von ihnen leiden an Nierensteinen. Die kleinen Patienten habe alle etwas gemeinsam: Sie haben Babymilch aus Milchpulver der chinesischen Firma Sanlu getrunken, das mit der Chemikalie Melamin versetzt war.

Die Pekinger Regierung hat einen Krisenstab gebildet. Über 8000 Tonnen Sanlu-Milchpulver wurden aus den Geschäften zurückgerufen, berichten Chinas Zeitungen. Rund 700 Tonnen sollen aber noch in den Regalen stehen. Die Firma musste am Wochenende die Produktion stoppen.

Melamin ist eine Chemikalie, die zur Herstellung von Klebstoff und Plastikwaren verwendet wird. Offenbar wurde sie dem Milchpulver beigefügt, um einen höheren Proteingehalt vorzutäuschen. Sanlu, der größte und bekannteste Hersteller von Milchpulver in China, gehört zu 43 Prozent dem neuseeländischen Unternehmen Fonterra. 19 Verdächtige sollen festgenommen worden sein. Kontrolleure überprüfen nun 175 Molkereien.

Beschwerden ignoriert

Fälle wie dieser bringen immer wieder große Unruhe in die Bevölkerung, weil sie beweisen, dass die Kontrollsysteme nicht funktionieren. Oft stecken Behörden und Produzenten unter einer Decke. Auch diese Affäre wurde offenbar gezielt vertuscht, nachdem Warnungen in den Wind geschlagen worden waren. Eltern hatten sich bereits im Frühjahr bei der Firma darüber beklagt, dass ihre Kinder Blut im Urin hatten.

Der Skandal hat auch eine internationale Dimension. Aus dem Ausland kamen in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden über gesundheitsgefährdende Produkte. Ob Zahnpasta, Hustensirup oder Hundefutter, oft mussten Waren aus China aus den Geschäften genommen, in einigen Fällen durften sie erst gar nicht eingeführt werden.

Jetzt werden Schuldige gesucht. Chinesische Rechtsanwälte haben den Opfern bereits Gratisberatung angeboten. Neuseelands Premierministerin Helen Clark erklärte gestern, Montag, in einem Fernsehinterview, das neuseeländische Unternehmen Fonterra habe seit Wochen vergeblich versucht, Sanlu und die örtlichen Behörden dazu zu bewegen, das verseuchte Milchpulver aus dem Handel zu nehmen und die Öffentlichkeit zu alarmieren. Unklar ist allerdings, warum die Neuseeländer nicht selbst die Initiative ergriffen.

Erst nachdem Neuseelands Regierung Anfang September von dem Skandal erfuhr und die Behörden in Peking informierte, sei endlich etwas geschehen. „Ich glaube, die erste Reaktion war es, die Sache unter den Teppich zu kehren“, klagte Clark. Schließlich zwang die Pekinger Zentralregierung die zuständige Provinz Hebei zum Handeln. Das Unternehmen wiederum beschuldigt Bauern, ihre Milch mit Wasser und Melamin gestreckt an die Sammelstellen geliefert zu haben. Es blieb bisher eine Antwort schuldig, warum die Milch nicht genau überprüft wurde.

Sanlu-Milch galt als sicher

Empörte Chinesen fragen sich derzeit im Internet, wer dafür verantwortlich ist, dass die Affäre so lange verheimlicht werden konnte – und ob es einen Zusammenhang zu den Olympischen Spielen gibt. Chinas Medien waren angewiesen worden, während der Wettkämpfe heikle Themen zu umschiffen, dazu zählten wohl auch Lebensmittelskandale. Erst am 2. September hatte eine Verbrauchersendung des staatlichen Fernsehens Sanlu-Produkte Millionen Fernsehzuschauern wegen ihrer „hohen Qualität“ und „Sicherheit“ empfohlen. Die Sanlu-Milch sei „1100-mal überprüft“ worden, hieß es.

Der Skandal ist kein Einzelfall: 2004 starben in der Provinz Anhui 13 Kleinkinder. Damals enthielt die Milch – anders als auf der Packung stand – keine lebenswichtigen Nährstoffe. Die Regierung versprach, die Kontrollen zu verschärfen. Jetzt kündigte sie an, die durch die Sanlu-Milch erkrankten Kinder würden kostenlos medizinisch behandelt, doch manche Spitäler verlangen trotzdem Geld für die Versorgung der Kinder.

WISSEN

Sanlu, der größte und bekannteste Hersteller von Milchpulver in China, gehört zu 43 Prozent dem neuseeländischen Unternehmen Fonterra. Rund die Hälfte aller chinesischen Babys wird mit Milchpulver ernährt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2008)

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