60 Jahre Kampf um die Menschenwürde

(c) EPA (Chema Moya)
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Vor 60 Jahren wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der UNO verabschiedet. Das legendäre Dokument mit seinen 30 Artikeln bleibt freilich bis heute in vielen Staaten nur das, was es ist: Papier.

Zehn der wichtigsten Grundrechte der UN-Deklaration – und wie es um sie bestellt ist.

Artikel 2: Allgemeines

Diskriminierungsverbot„Jeder hat Anspruch auf die Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, etwa nach Rasse, Geschlecht, Sprache, Religion oder sonstigen Umständen.“

Dieses Verbot ist so allgemein, dass seine (behauptete) Verletzung millionenfach alltäglich ist – ob bei rechtlicher Diskriminierung Homosexueller im Familienrecht, von Behinderten und Frauen im Arbeitsrecht oder von Farbigen im Umgang mit Behörden in Europa.

Artikel 3: Recht auf Leben
„Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

Amnesty International (AI) zählte 2007 mehr als 1252 Hinrichtungen (etwa Iran, China, USA, Saudi-Arabien). In vielen Staaten (z. B. Sudan, Russland) gibt es Übergriffe von Soldaten auf Zivilisten. Abtreibungsgegner klagen an, dass jährlich 40 bis 50 Millionen Ungeborene umgebracht werden.

Artikel 4: Verbot von Sklaverei und Sklavenhandel
„Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. Sklaverei in allen Formen ist verboten.“

Laut UNO werden zehn bis zwölf Mio. Menschen wie Sklaven behandelt, davon die Hälfte Jugendliche. Besonders betroffen: Indien, Pakistan, Kongo, Mali, Mauretanien. Zehntausende junge Frauen aus Osteuropa verdingen sich im Westen als Prostituierte und werden wie Leibeigene behandelt.

Artikel 5: Folterverbot
„Niemand darf Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.“

Extreme Fälle wie der US-Folterskandal im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib (2004) sind nur die Spitze des Eisbergs. Amnesty International zählte 2007 in 81 Ländern Fälle von Folter und Misshandlung, darunter Ägypten, Türkei, Syrien – und Österreich.

Artikel 9: Schutz vor willkürlicher Verhaftung
„Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.“

In Ländern wie Algerien, Ägypten, Russland, Kuba und Turkmenistan werden jedes Jahr hunderte Menschen vom Fleck weg verhaftet, nicht wenige davon verschwinden dauerhaft. Häufig werden ihnen nicht näher ausgeführte „politische Verbrechen“ vorgeworfen.

Artikel 18: Gewissens- und Religionsfreiheit
„...die Freiheit, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, allein oder mit anderen zu bekunden.“

Gewahrt ist das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit nur in wenigen, meist westlichen Staaten. Weltweit wird eine Viertelmilliarde Christen verfolgt. Vor allem in islamischen Ländern (wie Saudi-Arabien, Iran) und kommunistischen Staaten mit Religionsverbot (etwa Nordkorea) werden Menschen wegen ihres Glaubens (oder Sektenzugehörigkeit – siehe Falung-Gong-Bewegung in China) diskriminiert, vertrieben, getötet. In Europa sehen sich viele Muslime angesichts der Diskussionen über den Bau islamischer Gebetshäuser, wie zuletzt in Tirol, im Recht auf freie Religionsausübung beschnitten.

Artikel 20: Versammlungs- und Vereinsfreiheit
„...das Recht auf Versammlungsfreiheit. Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.“

Viele Länder, vor allem Diktaturen und Staaten mit Einparteiensystem, haben das Recht auf Vereinsfreiheit eingeschränkt. So ist in China für Arbeitnehmer lediglich die Mitgliedschaft bei einer staatlichen Gewerkschaft möglich. Auch Österreich gesteht den Bürgern nur ein teilweises Recht auf Vereinsfreiheit zu: Die Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschafts- oder Arbeiterkammer entspricht, zumindest bei strenger Auslegung, nicht den Menschenrechten. Gleiches gilt für die Zwangsmitgliedschaft aller Studenten in der Österreichischen Hochschülerschaft.

Artikel 22: Soziale Sicherheit„...Anspruch, durch innerstaatliche Maßnahmen in den Genuss unentbehrlicher wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zu gelangen.“

Weltweit kaum gewahrt wird das Recht auf soziale Sicherheit, das vor allem auf staatlichen Schutz vor Armut abzielt: Eine Milliarde Menschen leben in manifester Armut, meist in Schwarzafrika. Viele haben keinen Zugang zu Nahrung und Trinkwasser, die Staaten sind dagegen machtlos. Auch in Europa sind laut EU-Kommission 78 Mio. Menschen armutsgefährdet – immerhin rund 16 Prozent aller EU-Bürger. In Österreich gelten eine Million Menschen als von manifester Armut bedroht.

Artikel 23: Recht auf Arbeit und gleichen Lohn
„Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.“

Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit besteht auch in westlichen Industriestaaten meist nur am Papier: Zwar ist die Lohngestaltung häufig an Kollektivverträge oder staatliche Mindestlöhne gebunden, „gleicher“ Lohn für gleiche Tätigkeit kann in privatwirtschaftlichen Unternehmen aber nicht gefordert werden. Diskriminiert werden in diesem Punkt vor allem Frauen. Ein individuelles Recht auf Arbeit für jeden leitet sich aus Artikel 23 übrigens nicht ab – garantiert werden solle lediglich der Schutz vor unverschuldeter Arbeitslosigkeit.

Artikel 25: Soziale Betreuung„...Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und Alter.“

Das Recht auf soziale Betreuung ist auch in Staaten mit hohen wohlfahrtsstaatlichen Standards oft nicht gegeben: So besteht etwa in den USA keine Versicherungspflicht für Arbeitnehmer. chs, wg

Freedom House

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2008)

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