Prostitution: Jenseits der Grenze, im Eldorado sexueller Gewalt

(c) Irene Zöch
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Die Grenzregion um Znaim, nördlich des Waldviertels, ist Hochburg des Sextourismus aus Österreich. Anfang der Neunzigerjahre schossen Bordelle und Rotlichtbars wie Pilze aus dem Boden.

ZNAIM/WIEN. Der eisige Wind kennt keine Gnade. Unbeeindruckt vom Schneesturm, räkeln sich die Mädchen auf dem Teppich. „Wir warten auf Dich“, steht auf einem Schild entlang der E55 im Süden Tschechiens, gleich hinter der österreichischen Grenze.

Die nackten Frauenkörper versuchen die Autofahrer zur Einkehr zu überreden. Drinnen, in der Bar „In Flagranti“, wird es dann so richtig heiß, scheint das Werbeplakat zu versprechen. „Neue Mädchen“, steht dazu angeschrieben. Und über dem Eingang flattert eine zerzauste EU-Fahne.

Die Grenzregion um Znaim (Znojmo) in Mähren hat sich zum Paradies für Sextouristen aus Österreich entwickelt. Oder zur Hölle für Prostituierte, die dem Willen ihrer Zuhälter ausgeliefert sind. Auch rund um den Grenzübergang Gmünd im Waldviertel (Niederösterreich) und beim oberösterreichischen Wullowitz schossen nach der Grenzöffnung Anfang der Neunzigerjahre Bordelle und Rotlichtbars wie Pilze aus dem Boden. Entlang der Hauptverkehrsrouten nach Prag und Brünn blüht der Markt für billigen Sex von 20Euro aufwärts.

Lust in der Abgeschiedenheit

Die Prostituierten kommen vor allem aus Tschechien, der Slowakei und aus der Ukraine. Ihre Kundschaft hingegen stammt zum überwiegenden Teil aus Österreich: „Die Bordelle werden zu 90 Prozent von österreichischen Sexkunden besucht, die in die abgelegenen Dörfer kommen, um unauffällig ihrem sexuellen Treiben nachgehen zu können“, wird die Situation in der Studie „Grenzstrich Österreich–Tschechien. Der verborgene Weg“ erklärt. Rainer König-Hollerwöger, der Verfasser der Studie, hat zwei Jahre lang Material zur Prostitution und zum Straßenstrich in Südtschechien gesammelt. Allein rund um die 35.000-Einwohner-Stadt Znaim gibt es etwa 40 Bordelle, in denen 300 bis 400 Prostituierte arbeiten. Am Straßenstrich von Ceské Velenice (Gmünd) arbeiten bis zu 20 Prostituierte.

Auch Österreicherinnen am Strich

Laut dem Soziologen König-Hollerwöger, der auch das Wiener „Institut für psychosoziale Fragen“ (IPS) betreibt, bieten freilich auch Österreicherinnen ihre Körper auf dem tschechischen Strich an – durch plötzliche Schicksalsschläge oder persönliche Notsituationen seien sie dazu gezwungen, meint König-Hollerwöger.

In der Anonymität Tschechiens hoffen die zumeist alleinerziehenden Mütter unterzutauchen und unerkannt als Prostituierte arbeiten zu können. Wie viele Österreicherinnen in Tschechien auf den Strich gehen, sei freilich schwer einzuschätzen, sagt König-Hollerwöger. Vereinzelt habe er aber welche getroffen.

An der Grenze endet die Moral

Um Anonymität geht es aber vor allem auch den österreichischen Freiern. Jenseits der Grenze ließen diese sich nicht mehr von „gesellschaftlichen, sittlichen und moralischen Grundsätzen“ leiten, besagt die Studie. Das Ausland würden diese Personen als „unbegrenztes Eldorado zum Ausleben ihrer sexuellen Gewalt“ sehen. Und sie suchten den besonderen Kick, etwa Verbotenes wie Sex mit Minderjährigen.

„Bar Merlot“, „Villa Rose“ oder „Geisha“ – offiziell handelt es sich um Pensionen, Hotels oder Bars. Doch kaum einer der Gäste mietet das Zimmer länger als für eine Stunde. Die meisten der Sexkunden brauchen nicht einmal das. Sie „bevorzugen die anonyme Dienstleistung“ – irgendwo auf einem Parkplatz im Wald oder zwischen den Weingärten.

Telefonische Reservierungen

Und am Straßenstrich läuft das Geschäft mit den Frauen immer öfter übers Handy. „Die Sexkunden kommen oft nicht zu irgendwelchen Zeiten an den Straßenstrich, sondern melden sich gleich per Telefon an“, sagt König-Hollerwöger. Freier bestellen „ihr Mädchen“ sogar vor oder buchen eine bestimmte Zeit mit ihr übers Mobiltelefon. In so einem Fall müssen die Frauen aber wenigstens nicht mehr auf der Straße stehen. Bei Schneesturm und eisigem Wind.

BUCHTIPP

Zum Thema Prostitution in Südmähren ist das folgende Buch erschienen:

Rainer König-Hollerwöger

Grenzstrich ÖsterreichTschechien.Der verborgene Weg. Verlag Der Apfel, €26,80

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2008)

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