Ukraine: Der sozialistische Jugendtraum ist gerettet

(c) Artek
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Das internationale Kinder- und Jugendlager „Artek“ auf der Krim, einst ein Völker verbindendes Vorzeige-Symbol der UdSSR und Paradies für junge Kommunisten, wurde von der Regierung vor der Pleite bewahrt.

JALTA/WARSCHAU. Es war der Traum ganzer Kindergenerationen in der Sowjetunion und sozialistischen Bruderländern: Jeder wollte einmal einen Sommer in „Artek“, dem Jugendlager der sowjetischen „Allunions-Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin“, auf der Krim verbringen. Die große Freiheit, neue Freundschaften, viele Abenteuer (und bisweilen Liebe) waren garantiert.

Doch das ist Geschichte: Nach dem Zerfall des Kommunismus sank auch der Stern des mehr als drei Quadratkilometer großen Lagers mit etwa 150 Gebäuden, wo in besten Jahren mehr als 25.000Kinder und Jugendliche urlaubten. Die Jugend findet es nicht mehr „cool“, Pionier zu spielen – zuletzt kamen noch etwa 13.000 pro Jahr.

Im Jänner schlug Boris Nowoschilow, Direktor von „Artek“, Alarm: Wenn der ukrainische Staat, der das Lager 1993 in „Internationales Ferienlager für Kinder Artek“ umtaufte und für alle Kinder öffnete, nicht einspringe, würden in Kürze die Tore für immer geschlossen. Seit Monaten könne er nicht einmal mehr die Gehälter der Angestellten bezahlen. Nowoschilow trat gar in den Hungerstreik.

Erhebung in Olympia-Rang

Und das hatte Ende Jänner Wirkung: Zunächst griff Juri Pawlenko, Minister für Sport und Jugend, noch einmal in die Staatskasse und überwies rund drei Millionen Euro. Und dann langte die Regierung, die um eine Einrichtung von hoher Symbolkraft fürchtete, voll zu: Per Gesetz wurde das teils etwas angegraut wirkende Lager entschuldet und zur Vorbereitungsstätte für ukrainische Olympia-Sportler erklärt; damit können Mittel aus dem Sportbudget zum Erhalt von „Artek“ benutzt werden.

Gegründet wurde „Artek“ im Juni 1925 von der Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin direkt an der Schwarzmeerküste bei Gurzuf nahe Jalta. Zunächst diente es der Erholung von Kindern, die Tuberkulose hatten. Im Laufe der Jahre entwickelte es sich zum Ferienlager (aufgrund des milden Krim-Klimas konnte es sogar ganzjährig benutzt werden) und Vorzeigeobjekt der UdSSR. In den 60er-Jahren wurde „Artek“ stark ausgebaut. In zehn einzelnen Camps, zu denen ein Spital, ein Stadion und Schwimmbecken gehörten, sollten die jungen Pioniere das ideale sozialistische Leben leben.

Wo Castro in der Sonne briet

Berühmte Wissenschaftler, Sportler und Künstler kamen zu Besuch und erzählten von sich und ihrer Welt. Noch heute gibt's ein Museum über Juri Gagarin, den ersten Mann im All. Er wohnte 1965 längere Zeit in einem der weißen Bungalows mit Blick aufs Meer.

Kubas Revolutionär Fidel Castro spannte hier 1957, zwei Jahre vor seiner Machtübernahme auf der Zuckerinsel, mit seinem Sohn aus, 1955 die damalige Chefin der indischen Kongresspartei und spätere Präsidentin Indiens, Indira Gandhi. Auch Äthiopiens Kaiser Haile Selassie, Ghanas erster Präsident, Kwame Nkrumah, und allerhand Größen aus dem Ostblock schauten vorbei. 2008 sprangen dort die Kinder von Viktor Juschtschenko und Michail Saakaschwili, den Präsidenten der Ukraine und Georgien, ins Schwarze Meer. Seit der Gründung 1925 wurden fast drei Millionen Übernachtungen gezählt, mehrere zehntausend Kinder kamen aus dem Ausland.

Die berühmten Namen können aber das grundsätzliche Problem des Lagers nicht überdecken: Es fehlt ein Konzept für die Zukunft. Zwar werden jeden Sommer Kinder aus bedürftigen ukrainischen Familien auf die Krim zur Erholung gefahren, doch bringt das nicht das dringend benötigte Geld für die Großanlage mit ihren mehr als 2200 – teils freilich ehrenamtlich tätigen – Mitarbeitern; zahlende Gäste legen für mehrwöchige Aufenthalte etwa 600 bis 1600 Euro aus. 2005, im 80. Jahr der Gründung, kamen gut 13.000 Jugendliche, doch 60 Prozent davon zahlen geringere Tarife oder gar nichts.

Die Vision des Hochsprung-Gottes

Vor einigen Jahren kam Sergej Bubka, ehemaliger Olympiasieger im Stabhochsprung, auf die Idee, in „Artek“ einen Olympia-Stützpunkt einzurichten. Wie es aussieht, ist seine Vision nun Wirklichkeit geworden. Der ehemalige sozialistische Traum dürfte weiter bestehen. Wenn „Artek“ geschlossen werde, sei es ein „Verbrechen an zukünftigen Generationen“, hatte Direktor Nowoschilow gewarnt.

LEXIKON

Das Jugendlager „Artek“ wurde 1925 bei Gurzuf nahe Jalta an der Südküste der Krim gegründet und vor allem in den 60er-Jahren stark ausgebaut. Hier waren hunderttausende Jugendliche aus der UdSSR und anderen Staaten auf Urlaub. Jetzt betreibt es die Ukraine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2009)

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