Italien: Asbest-Katastrophe bleibt ungesühnt

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Trotz 2000 Todesfällen: Italienische Höchstrichter stellen das Verfahren gegen Schweizer Großindustriellen wegen Verjährung ein. Angehörige der Opfer verlieren sämtliche Ansprüche.

Rom. Eine der größten Umweltkatastrophen in Italien bleibt juristisch ungesühnt. Die Angehörigen von mehr als 2000 Opfern und Hunderten von Kranken verlieren sämtliche Schadenersatzansprüche. So hat es in der Nacht auf Donnerstag das Kassationsgericht in letzter Instanz entschieden: Die Sache sei verjährt. Im Gerichtssaal schrieen die Zuhörer: „Schande! Schande!“

Im Prozess ging es um die Asbestverarbeitung in vier italienischen Werken, die dem Schweizer Milliardär und Eternit-Industriellen Stephan Schmidheiny gehörten. Die Anklage warf ihm vor, durch unsachgemäße Produktionsbedingungen „vorsätzlich eine Umweltkatastrophe herbeigeführt“ zu haben. Schmidheiny habe die Arbeiter auch dann nicht über die Gefährlichkeit des hoch krebserregenden Minerals informiert, als entsprechende medizinische Erkenntnisse bereits eindeutig waren. Die Arbeiter in Schmidheinys Werken hatten nicht einmal ausreichende Atemmasken ausgehändigt bekommen. In den beiden Vorinstanzen war der 67-Jährige zu 16 bzw. 18 Jahren Haft verurteilt worden. Außerdem sollte er den Hinterbliebenen und Kranken 89 Millionen Euro Schadenersatz zahlen. Schmidheiny selbst hatte den insgesamt fünfjährigen Prozess sicher aus der Schweiz verfolgt.

Als verjährt hatte es bereits die zweite Instanz in den Jahren 2012 bis 2013 angesehen. Anwälte des Schweizer Unternehmers argumentierten hingegen stets, ihr Mandant sei für die Zustände in den italienischen Fabriken nicht verantwortlich zu machen – er habe dort nie die operative Leitung innegehabt. Außerdem gelte Schmidheiny als „Pionier des Ausstiegs“ aus der Asbestverarbeitung, weil er die vom Vater ererbten Werke „früher als andere Produzenten“ umgerüstet habe.

Opferzahl 2025 auf Höhepunkt

Jahrelang hatte die italienische Staatsanwaltschaft alles dafür getan, Schmidheiny hinter Gitter zu bringen. Ganz anders nun Chefankläger Francesco Iacoviello vor dem Kassationsgericht: Mit seiner Rechtsauslegung, die Umweltkatastrophe sei mit Einstellung der Eternit-Produktion im Jahr 1986 zu Ende gewesen und nach der gesetzlichen Zwölfjahresfrist demnach verjährt, überraschte er am Mittwoch nicht nur die Richter, sondern sogar die Verteidiger Schmidheinys. Die Anklagevertreter in den beiden unteren Instanzen hatten argumentiert, von einer Verjährung könne keinerlei Rede sein, weil die Spätfolgen des Asbests im Körper der Arbeiter und Anwohner, etwa der aggressive Lungenfellkrebs, nach wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen erst 20 bis 40 Jahre nach Kontakt mit dem Mineral ausbrechen. Die Vertreter der Opfer haben am Mittwoch auch argumentiert, die Spitze der Opferzahlen werde erst für 2025 erwartet. Das Gericht schloss sich jedoch dem Generalstaatsanwalt an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2014)

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