Schwimmende „Gasbombe“ vor deutscher Küste

A handout picture obtained from the Havariekommando website shows cargo vessel Purple Beach loaded with fertilizers engulfed in smoke, west of Helgoland
A handout picture obtained from the Havariekommando website shows cargo vessel Purple Beach loaded with fertilizers engulfed in smoke, west of Helgoland(c) REUTERS (HANDOUT)
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Aus einem Frachter mit zehntausenden Tonnen Dünger dringen enorme Rauchwolken. An Land herrscht stechender Geruch, Gesundheitsgefahr wird dennoch ausgeschlossen.

Cuxhaven. Vor der deutschen Nordseeküste treibt seit der Nacht auf Dienstag eine besondere „Bombe“: die Purple Beach, ein mit zehntausenden Tonnen Dünger beladenes Frachtschiff, dessen Ladung entweder Feuer gefangen oder eine langsame chemische Zerfallsreaktion begonnen hat, und das seit Dienstag eine gewaltige Fahne stechenden weißen Rauches ausstößt. Die deutsche Seerettung hielt es zunächst sogar für möglich, dass es samt etwa 1300 Tonnen Treibstoff an Bord explodieren könnte, was eine Umweltkatastrophe auslösen würde.

Das Schiff liegt 30 Kilometer westlich der Insel Helgoland, etwa 35 km nördlich der ostfriesischen Inseln und zwischen 75 und 90 km von Küstenstädten wie Cuxhaven, Wilhelms- und Bremerhaven entfernt. Dennoch wurden die Städte und Landkreise von Ausläufern der Wolke eingenebelt, die Menschen klagten über Gestank. Die Feuerwehr riet, Türen und Fenster zu schließen, die Gaskonzentration sei aber gering und ungefährlich.

Der Frachter fährt unter der Flagge der Marshall-Islands, gehört der Hamburger Reederei Macs-Shipping, wird aber laut maritimen Info-Datenbanken von dem Hamburger Unternehmen Vineta operativ geführt. Das 192-Meter-Schiff mit Ladevermögen von 33.700 Tonnen war zuletzt auf Kurs von Antwerpen (Belgien) zum Hafen Brake an der Weser südlich Bremerhaven, als die 22-köpfige Besatzung am späten Montagabend Rauchaustritt aus dem Ladebereich bemerkte. Der Laderaum wurde mit Kohlendioxid geflutet, um eine etwaige Oxidation zu ersticken – aber erfolglos, denn am Dienstag rauchte es so stark, dass die Crew per Hubschrauber ausgeflogen werden musste. Sie sowie 14 Mann eines vom Havariekommandos Cuxhaven entsandten Löschteams wurden in Spitälern untersucht, niemand war aber schwer verletzt worden.

Am Mittwoch konnte das Schiff wegen der Rauchentwicklung nicht mehr betreten werden, seine Hülle hatte sich auf mehr als 45 Grad erhitzt. Man könne auch nicht hinein, da man keine Luken öffnen wolle: Damit würde Luft eindringen und den chemischen Prozess anheizen, hieß es seitens der Feuerwehr und Seerettung – und das womöglich auf besonders rasante Weise: Die Ladung aus Ammoniumnitrat, dem farblosen Salz aus Ammoniak und Salpetersäure, ein Bestandteil vieler Dünger und von Sprengstoff, explodiert bei rascher Erhitzung auf über etwa 300 Grad mit gewaltiger Kraft. Es gab schon viele Katastrophen wegen Ammoniumnitrat-Explosionen: etwa im September 1921 in Ludwigshafen am Rhein, als in einem BASF-Werk 4500 Tonnen des Stoffs hochgingen und 561 Menschen starben; den Knall hörte man noch im 280 km entfernten München.

Sperrzone mit Fünf-Kilometer-Radius

Wird das Salz milde erhitzt (mindestens 170 Grad), zerfällt es in Wasser und Lachgas. Am Mittwochnachmittag betonte der Chefchemiker des Düngererzeugers, es könne keine Explosion geben, das Produkt sei durch Beimengungen entschärft. Das Havariekommando wollte sich dem aber nicht ganz anschließen. Um den Frachter wurde eine Sperrzone in einem Radius von fünf Kilometern gezogen, in die nur Spezialschiffe dürfen. Zwei davon, das Gewässerschutzschiff Mellum und der Schlepper Nordic, spritzten Wasser auf den Frachter, um die Wände zu kühlen und die Reaktion zu bremsen. Wasser wurde von den Spezialschiffen (weitere wurden in der Nähe zusammengezogen) sowie Flugzeugen auch in die Wolke gespritzt, die konnte dadurch deutlich eingedämmt und gebunden werden. Über das weitere Vorgehen bei der Bergung wird noch beraten. Zumindest dürfte das Schiff noch tagelang qualmen. (wg/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2015)

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