Frankreich: Die „Gang der Barbaren“ vor dem Richter

(c) Reuters (Benoit Tessier)
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Vorstadt-Jugendliche quälten einen jüdischen Telefonhändler zu Tode. 27 Bandenmitglieder stehen nun vor Gericht. Für die Anklage steht außer Zweifel, dass antisemitische Motive eine entscheidende Rolle spielten.

PARIS. Wegen der Entführung, Folterung und Ermordung des jüdischen Telefonhändlers Ilan Halimi Anfang 2006 stehen ab heute, Mittwoch, 27 Mitglieder und Mitläufer der „Gang der Barbaren“ in Paris vor Gericht. Mit ihnen auf der Anklagebank: der bei Vorstadtjugendlichen stark verbreitete Antisemitismus und die fast alltägliche Gewalt in der „Banlieue“.

Youssouf Fofana wollte in seinem Quartier „Pierre-Plate“ in Bagneux, einem Vorort im Süden von Paris, ein „Caïd“ sein – ein respektierter, bewunderter und gefürchteter Gangsterboss. Der Prozess soll zeigen, wie aus dem kleinen, geltungssüchtigen Vorstadtkriminellen das monströse „Hirn der Barbaren“ werden konnte. So bezeichnete sich der damals 25-jährige Fofana selbst, als er seinen Plan umsetzte, durch Entführung und Erpressung eines Juden schnell viel Geld zu machen.

Wie so mancher Vorstadtjugendliche glaubte der aus der Elfenbeinküste stammende Fofana an das rassistische Klischee, dass „die Juden“ alle Geld hätten und bereit seien, für die Freilassung gekidnappter Familienmitglieder viel zu bezahlen.

Für sein Szenario hatte Fofana mehrere Mädchen als Lockvögel gefunden. Mehr als einmal scheiterte die Umsetzung. Für den 23-jährigen Telefonhändler Ilan Halimi entpuppte sich das Rendezvous, das er mit einer jungen Frau am 21. Jänner 2006 in Sceaux hatte, aber schnell als tödliche Falle der „Gang der Barbaren“.

24 Tage misshandelt

Halimi wurde mit Klebebändern gefesselt, eine leere Wohnung in Pierre-Plate diente als Gefängnis. Die 17- bis 32-jährigen Mitglieder der Bande lösten einander ab, um ihr Opfer Halimi zu bewachen und zu foltern.

Mit einem hatten Fofana und seine Komplizen aber nicht gerechnet: Dass Halimis Eltern keineswegs so vermögend waren, um die Lösegeldforderungen zu erfüllen. Zudem hielten sie sich vertrauensvoll an die Anweisungen der Polizei, die ihnen versicherte, sie werde ihren Sohn und dessen Kidnapper schon finden.

Ilan Halimi war während 24 Tagen so schwer misshandelt worden, dass er halb tot war, als die „Barbaren“ beschlossen, sich ihrer Geisel zu entledigen. Am 13. Februar ließen sie ihn an einem Bahngleis nackt und mit zahlreichen Schnittverletzungen und Brandwunden liegen. Er starb noch während des Transports ins Krankenhaus.

Produkt der Vorstadtgesellschaft

Sehr schnell wurden die meisten Mitglieder der „Gang der Barbaren“ identifiziert und festgenommen. Ihr Kopf, Youssouf Fofana, wurde auf seiner Flucht in der Elfenbeinküste verhaftet und an Frankreich ausgeliefert. Er lehnte bisher die Zusammenarbeit mit allen Anwälten ab, die zu seiner Verteidigung ernannt worden waren. Nach Ansicht seines aus dem Kongo stammenden Ex-Anwalts Pascal Missamou habe Fofana, der sich als Moslem bezeichnet, „weder eine afrikanische noch eine islamische Kultur“, sondern sei ein „Produkt der französischen Vorstadtgesellschaft“ mitsamt deren antisemitischen Ressentiments.

Da einer der Angeklagten zur Tatzeit minderjährig war, findet der Prozess, der bis Juli dauern soll, hinter verschlossenen Türen statt. Das bedauert Ruth Halimi, die Mutter des Opfers. Sie hätte eine öffentliche Verhandlung gewünscht, damit die Gesellschaft sich der Frage stellen muss, wie es möglich war, dass fast 30 Menschen von der Folterhaft ihres Sohnes wussten, ohne dass auch nur einer von ihnen reagiert hätte. „War mein Sohn von vornherein verurteilt, weil er Jude war?“ Für die Anklage steht außer Zweifel, dass antisemitische Motive eine entscheidende Rolle spielten.

AUF EINEN BLICK

Am 21. Jänner 2006 wurde der 23-jährige jüdische Telefonhändler Ilan Halimi in eine Falle der „Gang der Barbaren“ gelockt. Sie hielt ihn gefangen und wollte Lösegeld erpressen. Als nicht gezahlt wurde, ließ die Gang den geschundenen Halimi nach 24 Tagen frei; er starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Ab heute stehen 27 Bandenmitglieder in Paris vor Gericht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2009)

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