Wenn Häftlinge Radio machen

(c) APA (HELMUT FOHRINGER)
  • Drucken

In der Justizvollzugsanstalt Heidering bei Berlin gestalten mehrere Insassen ein Radioprogramm für ihre Mithäftlinge. Neben Musik umfasst es auch Informationssendungen.

Berlin. Was der Welt nun wirklich nicht fehlt, sind rührselige Liebeslieder, und durch diesen immensen Bestand hat sich der junge Mann gewühlt und eine Playlist erstellt: „Jede Menge Liebesschnulzen.“ Er lässt kurz hineinhören: Da ist Helene Fischer dabei, deutscher Pop wie Silbermond und alles andere, was gebrochenen Herzen schon einmal Trost gespendet hat. Zwei Stunden lang läuft die Playlist im Radio, die der junge Mann für einen Mitinsassen zusammengestellt hat: Es ist nämlich sein erster Hochzeitstag.

In dem kleinen Raum mit großen, vergitterten Fenstern in der Justizvollzugsanstalt Heidering bei Berlin werden Lebensereignisse zu Musik gemacht. Jeder Insasse kann sich mit einem Wunsch an die Radiomacher wenden, schließlich werden die Programme zu bestimmten Zeiten über das Gefängnisradio gesendet und können in den Hafträumen empfangen werden. Bei Schlagern müsse er sich ein wenig umhören, erzählt der junge Insasse, der beim Radioprojekt mitwirkt. Aber Hip-Hop, das sei sein Ding. Hip-Hop würde er auch selbst machen, wenn er nicht „hier drin wäre“. Neben der Wunschmusik – da ist die gesamte Bandbreite dabei, sagt der Häftling: von osteuropäischer bis zu afrikanischer und orientalischer Musik – sendet das Radioprogramm, das von den Insassen in Zusammenarbeit mit Journalismusstudenten und der Gefängnisverwaltung gestaltet wird, auch Nachrichten und produziert Themensendungen – etwa über Gewalt im Gefängnis oder auch über die Beatles.

Zudem werden kurze historische Rückblicke gestaltet, indem beispielsweise über eine Rede von John F. Kennedy oder die Einführung der Strichcodes berichtet wird. Das gefängniseigene „Radio Prison Beat“ sendet 24 Stunden lang in Dauerschleife und wird zwei Mal pro Woche produziert.

Lichtdurchflutet und weiß

Seit einem halben Jahr schon, sagt ein Insasse in Jeanshose und bunter Frisur, arbeite er an diesem Projekt mit und stelle die Nachrichten zusammen. Seine Radiostimme klingt durchaus professionell, und die Hintergrundinformationen zu seiner Sendung liefern ihm entweder die Studenten oder der Teletext. Einen Internetzugang haben die Insassen nicht. „Ich kann hier selbstständig arbeiten“, sagt er.

Das Gefängnis Heidering wurde im Juni vergangenen Jahres eröffnet und ist ausschließlich mit Männern ab 21 Jahren belegt, deren (restliche) Strafe fünf Jahre nicht übersteigt. Wären nicht die Gitter vor den vielen Fenstern des Gebäudes, würde die Justizvollzugsanstalt wohl nicht als solche durchgehen: Die Gänge und die Räume sind lichtdurchflutet, insgesamt ist alles in Weiß gehalten, die Turn- und Fitnesshalle ist modern ausgestattet, und die kleine Bibliothek sowie die Kunstwerkstätte sind freundlich eingerichtet.

Weil der Fitnessraum nur sporadisch überwacht wird, dürfen lediglich „nicht problematische Gefangene“ hier trainieren, sagt die Sozialarbeiterin Martha Pomirski. Und nicht alle sind für die Mitarbeit beim gefängniseigenen Radioprogramm geeignet. Der Mitarbeiter mit den bunten Haaren sagt etwa, dass er das Schneiden von Tonaufnahmen „auch draußen“ gemacht habe. Insgesamt vier Häftlinge arbeiten am Programm mit. Zwar gebe es deutschlandweit ähnliche Projekte, sagt Pomirski, aber nicht in der Beständigkeit wie in Heidering. Das Angebot werde gut angenommen: Sehr viele schalten in der Haftzelle das Radio ein.

Hinter dem Schreibtisch stecken die zwei Häftlinge ihre Köpfe zusammen und hören sich die Nachrichten an, die sie soeben aufgenommen haben. Später wird das Hip-Hop-Programm mit den Worten „Fangen wir mit dem deutschen Shit an“ auf Sendung gehen. Ihnen gefalle die Arbeitsatmosphäre hier, sagen die beiden. Auch wenn sie nicht mehr lange einsitzen müssen.

Insgesamt 648 Hafträume gibt es im Gefängnis Heidering. Tagsüber arbeiten die Insassen in einer Werkstatt und produzieren für externe Dienstleister. Und für die Freizeitgestaltung gibt es neben den erwähnten Projekten auch – Yoga.

AUF EINEN BLICK

Projekt. In der Justizvollzugsanstalt Heidering bei Berlin haben Gefangene ein eigenes Radioprogramm, das sie mitgestalten und in ihren Hafträumen empfangen können. Das „Radio Prison Beat“ wird zwei Mal pro Woche produziert. Neben Nachrichten und Themensendungen werden auch Musikprogramme auf Wunsch erstellt. Derzeit arbeiten vier Häftlinge mit Journalismusstudenten und Gefängnismitarbeitern an dem Projekt. Die JVA Heidering wurde im Juni vergangenen Jahres eröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.