Schrott und Schätze in Polen

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FILE POLAND WALBRZYCH NAZI GOLD(c) APA/EPA/MACIEJ KULCZYNSKI (MACIEJ KULCZYNSKI)
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Niedrigwasser in den Flüssen hat Verborgenes freigegeben. Goldgräber- stimmung herrscht auch in Wałbrzych, wo ein verminter Nazi-Goldzug unter der Erde liegen soll.

Schon am Samstagmorgen flanieren wieder besonders viele Warschauer die Weichsel entlang. Sie gehen ganz ans Ufer heran, suchen den Fluss mit ihren Augen ab. Der tiefste Wasserstand seit Beginn der Messungen im 18. Jahrhundert hat viel Verschollenes freigelegt. Gerade noch 45 Zentimeter tief ist Polens längster Fluss nach einer langen Dürreperiode in der Hauptstadt. Nun sind sie sichtbar, jüdische Grabsteine, die nach dem Krieg für die Uferbefestigung benützt wurden, steinerne Sitzbänke der 1944 von den deutschen Besatzern gesprengten Poniatowski-Brücke. Selbst eine mittelalterliche Barke wurde entdeckt.

Die russische Botschaft freut sich derweil über den Fund eines sowjetischen Kampfflugzeuges aus dem Zweiten Weltkrieg in der Bzura, einem Weichselzufluss rund 70 Kilometer nördlich von Warschau. Im sumpfigen Gelände sind gar Teile der Pilotenuniformen erhalten geblieben. Der Fund gibt einen willkommenen Anlass, auf die hohen Opferzahlen der Roten Armee bei der Vertreibung der Nazis aus Polen zu verweisen. Teile des Wracks sollen dieses Wochenende gehoben werden.

Staatseigentum oder Beutekunst? Am anderen Ende des Landes ist indes regelrechtes Goldfieber ausgebrochen. In der verarmten niederschlesischen Stadt Wałbrzych (Waldenburg) haben sich in den vergangenen Tagen die Hinweise auf eine tief unter der Erde liegende Zugskomposition der Nationalsozialisten verdichtet. „Ich bin zu 99 Prozent sicher, dass dieser Zug existiert“, sagt Piotr Zuchowski, Polens oberster Denkmalschützer. Er habe klare Aufnahmen eines Georadars gesehen. Wer sich mit Waffen und dem Zweiten Weltkrieg auskenne, könne erkennen, dass kein gewöhnlicher Zug unter der Erde liege.

Der Zug, der Schatzsucher aus aller Welt elektrisiert, soll laut einem Bericht von Radio Wrocław an der Bahnstrecke von Wrocław (deutsch: Breslau) nach Wałbrzych in einem abgeschlossenen Stollen in einer Tiefe von 70 Metern liegen. Was er enthält, ist unklar. Doch die Legende von mindestens einem Nazi-Goldzug, der Anfang 1945 auf der Flucht vor der Roten Armee aus Breslau vom Erdboden verschwunden sein soll, hat Schatzsucher aus aller Welt auf den Plan gerufen.

In der Vorwoche hatte eine Breslauer Anwaltskanzlei im Namen zweier Schatzsucher bei den Lokalbehörden in Wałbrzych zehn Prozent des Fundes gefordert. In der Folge gaben die beiden – ausgerechnet ein Pole und ein Deutscher – den Behörden die genauen Koordinaten ihrer Fundstelle bekannt. Laut polnischem Recht gehört der ganze Schatz, falls es sich denn um einen solchen handelt, dem Staat. Am Samstag hat indes der Jüdische Weltkongress darauf hingewiesen, dass es sich dabei um Raubgut der jüdischen Bevölkerung handeln könnte. „Ich hoffe, Polen zieht dies in Betracht“, sagte Robert Singer in New York. Auch Russland hat sich als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion bereits für den Schatz interessiert, da es sich dabei um Beutekunst handeln könnte.

Denkmalschützer Zuchowski hat inzwischen Nachahmer zur Besonnenheit aufgerufen. „Ich warne noch einmal ausdrücklich davor, diesen Schatz eigenhändig zu suchen“, sagte er am Freitagabend in Warschau. In dem Zug würden sich bestimmt gefährliche Stoffe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs befinden, höchstwahrscheinlich sei er auch vermint. Das Versteck habe ein direkt Beteiligter auf dem Sterbebett genannt, gab Zuchowski an. Radio Wrocław berichtete, die Waldenburger Behörden hätten inzwischen die Armee um Hilfe bei der Hebung gebeten. Mit einem Hebeversuch des Zuges sei wohl nicht vor Frühling 2016 zu rechnen, hieß es in Warschau.


Codename „Riese“.Dass sich der Schatz direkt an der Bahnlinie von Wrocław nach Wałbrzych befindet, ist indes kaum anzunehmen. Auf dem Stadtgebiet von Wałbrzych gibt es jedoch eine ganze Reihe unterirdischer Stollen. Sie wurden 1943 vom Nazi-Regime angelegt. Unter dem Codenamen „Riese“ sollten unterirdische Waffenfabriken angelegt werden, die vor einem möglichen Bombardement der Briten geschützt wären. Laut polnischen Schätzungen ist erst ein Drittel dieses Tunnelsystems erforscht. Ein ganz kleiner Teil davon für Touristen zugänglich. Unter anderem soll ein Nebengleis unterirdisch zur Burg Fürstenberg (heute: Zamek Ksiaż), der größten Schlossanlage Schlesiens, gelegt worden sein. Tausende Zwangsarbeiter aus dem nahen Außenlager des KZ Gross-Rosen trieben einen Liftschacht von der Burg in den Felsen und darunter Schutzbunker und geheime Stollen. Seit Jahren schießen wilde Spekulationen über versteckte Panzerzüge ins Kraut. Demnach könnte sich in dem nun georteten „Goldzug“ gar das verschollene Bernsteinzimmer befinden.


Tragischer Untergang. Dagegen förderte die austrocknende Weichsel bisher vor allem Schrott und Erinnerungen an die tragische polnische Geschichte zutage. So etwa höchstwahrscheinlich das Wrack des Ausflugschiffs Bajka, zu Deutsch Märchen, das am zwölften Tag des Warschauer Aufstands von 1944 von den Deutschen versenkt wurde. Einen Monat lang diente das halb abgesoffene Schiff ans andere Ufer schwimmenden Aufständischen und Zivilisten als Unterschlupf bei der Flucht aus dem brennenden Warschau. Bis deutsche Truppen auch diese letzte Hoffnung sprengten. Dieser Tage wurde entschieden, die Hebung sei zu teuer.

Nazi-Zug von WaŁbrzych

Gerüchte über einen 1945 verloren gegangenen Zug gibt es in Polen schon lang. Er könnte Waffen, aber auch Schmuck und Kunstgegenstände – Beutekunst – geladen haben.

Fotografien zeigen nun einen 100 Meter langen Zug in 70 Metern Tiefe. Auch das Kulturministerium bestätigt die Existenz der Waggons. Die polnischen Behörden wollen mit der Hebung aus dem Versteck beginnen.

Mehrere Stellen haben Anspruch auf einen möglichen Fund erhoben: die polnischen Behörden, der Jüdische Weltkongress sowie die beiden Männer, die den Tipp gaben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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