Taliban fordern Hilfe nach Erdbeben

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Die Zahl der Opfer stieg auf weit über 300. Große Teile des Gebiets in Pakistan und Afghanistan sind unzugänglich. Regen und Kälte behindern die Rettungsarbeiten.

Bangkok/Islamabad. Einen Tag nach dem schweren Erdbeben am Hindukusch versuchten Rettungskräfte in Pakistan und Afghanistan am Dienstag, tiefer in die betroffene Region vorzudringen. Die Zahl der Todesopfer stieg im Lauf des Tages auf rund 350. Die meisten Opfer kamen in Pakistan beim Einsturz von Gebäuden ums Leben. In Afghanistan starben zwölf Schülerinnen, als in ihrer Schule Panik ausbrach. Die Mädchen stürzten und wurden erdrückt. Da weite Teile des Katastrophengebiets unzugänglich sind und in einigen Regionen die Kommunikation zusammengebrochen ist, dürfte die Zahl der Todesopfer noch steigen.

Viele Betroffene verbrachten aus Angst vor Nachbeben die Nacht trotz eisiger Temperaturen im Freien, berichteten pakistanische Medien. Rettungshelfer statteten die Betroffenen mit Schlafmatten und Decken aus. Pakistans Armee und zivile Behörden erkundeten das Katastrophengebiet, das auch auf pakistanischer Seite in einer Bergregion liegt, mit Hubschraubern. Dort haben bereits vor einigen Tagen Erdrutsche nach schweren Regenfällen den Zugang deutlich erschwert.

200 Kilometer in der Tiefe

Das Beben war mit einer Stärke von 7,5 äußerst stark. Dass nicht noch mehr passiert ist, liegt daran, dass es 200 Kilometer tief im Erdinneren erfolgte. Die Wucht der Erdstöße war damit in der Nähe des Epizentrums schwächer als zunächst befürchtet. Beim letzten schweren Beben in Pakistan im Oktober 2005 sind 75.000 Menschen gestorben, Millionen sind obdachlos geworden. Erst im April und Mai starben bei zwei schweren Erdbeben in Nepal beinahe 9000 Menschen.

Wegen der Tiefe des Bebens war dieses in der gesamten Region zu spüren: Selbst noch in Indiens Hauptstadt Delhi stoppte vielerorts der Verkehr. Die Menschen rannten auf die Straßen. Die U-Bahn wurde vorübergehend gestoppt.

Auch in Afghanistan bleiben Teile des Katastrophengebiets aufgrund von Erdrutschen von der Außenwelt abgeschnitten. Über die Lage in vielen betroffenen Regionen war auch am Dienstag nur wenig bekannt, da vielerorts die Kommunikationsnetze zusammengebrochen sind. „Wir haben nicht genug Essen und andere Hilfsgüter“, sagte ein hochrangiger Polizist in der schwer betroffenen Region Kunar einer Nachrichtenagentur. „Es hat vier Tage lang geregnet, und es ist sehr kalt.“

Erschwert werden die Rettungsarbeiten dadurch, dass sich weite Teile des Katastrophengebiets unter der Kontrolle der Taliban befinden. Diese riefen am Dienstag Hilfsorganisationen dazu auf, auch in Gebiete unter ihrer Kontrolle Hilfsgüter zu liefern. In einer Erklärung betonten die Militanten, sie würden sich der Verteilung von Hilfsgütern nicht in den Weg stellen. Ihre Kämpfer riefen sie dazu auf, bei den Rettungsarbeiten zu helfen.

Die Sicherheitslage ist dennoch ein großes Problem. Die Taliban haben in den vergangenen Monaten ihre Angriffe auf afghanische und ausländische Sicherheitskräfte verstärkt. Die Lage hat sich in einigen Landesteilen verschlechtert, weil dort Milizen aufgetaucht sind, die der Terrormiliz Islamischen Staat (IS) gegenüber ihre Loyalität erklärt haben. Vereinzelt kam es bereits zu Gefechten zwischen Taliban-Kämpfern und IS-Anhängern.

Gegenseitige Vorwürfe

Wie problematisch die Lage ist, wurde am Dienstag deutlich: An der afghanisch-pakistanischen Grenze wurden offiziellen Angaben zufolge sieben Mitglieder einer paramilitärischen Einheit getötet, als Militante von Afghanistan aus das Feuer eröffneten. Kabul und Islamabad werfen einander seit Jahren vor, zu wenig gegen Extremisten zu unternehmen, die über die Grenze hinweg Sicherheitskräfte im jeweils anderen Land angreifen.

Erst vor wenigen Monaten sah es kurzfristig danach aus, als würden die Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan, die eine Folge dieser Anschuldigungen sind, zurückgehen. Pakistan spielte Gastgeber bei Verhandlungen zwischen den Taliban und Vertretern der afghanischen Regierung im Juli. Doch Berichte über den Tod von Taliban-Anführer Mullah Omar führten zu Spannungen innerhalb der Taliban. Der Zusammenbruch der Friedensbemühungen und eine Serie schwerer Anschläge in Kabul waren die Folge.

Pakistans Premierminister Nawaz Sharif kündigte an, die Hilfsoperationen in Pakistan selbst zu überwachen. Auf ein Angebot seines indischen Amtskollegen, Narendra Modi, ging er nicht ein. Dieser hatte kurz nach dem Beben auf dem Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben, Indien sei bereit zu helfen. Dieses Hilfsangebot erstrecke sich auch auf Afghanistan und Pakistan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2015)

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