El Chapo": "Der Kurze" ist im Kittchen

Recaptured drug lord Joaquin 'El Chapo' Guzman is escorted by soldiers during a presentation in Mexico City
Recaptured drug lord Joaquin 'El Chapo' Guzman is escorted by soldiers during a presentation in Mexico CityREUTERS
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Nach monatelanger Jagd wurde Joaquín Guzmán, aus der Haft entwischter Boss eines mexikanischen Drogenkartells, gefasst. "El Chapo" könnte nun an die USA ausgeliefert werden.

Da ist er wieder. Sie haben ihn auf eine Bettkante gesetzt, die beiden Unterarme mit Handschellen zusammengekettet. Von einem Poster zwinkert eine halbnackte Schönheit in das Zimmer des Motel Doux an der Ausfallstraße zwischen Los Mochis und Navojoa. Der Mann, den Schnauzbart gestutzt, am Oberkörper ein verdrecktes Unterhemd und auf den Armen eine Reihe frischer Schürfwunden, blickt umso ernster, vorbei am Objektiv der Kamera. Er weiß, dass er hier für eine neue nationale Vignette Modell sitzen muss. Für ein Bild, das Mexikos Regierung bald auf allen Kanäle aussenden wird. Der Chapo Guzmán ist gefasst, wieder gefasst. Sechs Monate, nachdem der Kopf des Sinaloa-Kartells durch den Boden des angeblich sichersten Gefängnisses Mexikos entschwunden war.

„Misión cumplida!“ meldete Präsident Enrique Peña Nieto am Freitag zur Mittagszeit in Mexiko-Stadt, bezeichnenderweise über seinen privaten Twitter-Account. „Auftrag erfüllt: wir haben ihn. Ich möchte die Mexikaner informieren, dass Joaquín Guzmán Loera verhaftet wurde.“ Es war ein tiefer Seufzer der Erleichterung, komprimiert im 140-Zeichen-Format. Gerichtet an die eigenen Landsleute, aber auch an die ganze Welt, die wahrnehmen sollte, dass Mexiko eben doch kein hoffnungsloser Fall ist. So viel Kritik war auf Regierung, Justiz, Sicherheitskräfte und Strafvollzug eingehagelt, damals im Juli. Als niemand bemerkt haben wollte, dass die Tiefbauspezialisten aus Sinaloa einen kilometerlangen Tunnel direkt unter die Zelle des bedeutsamsten Gefangenen des Landes trieben und gar den Boden in dessen Duschzelle durchbrachen. Diese Schmach soll nun getilgt sein, mit diesem Zugriff, bei dem offenbar vieles so gelaufen ist, wie es im Kampf gegen die Drogenmafia immer laufen müsste.

Als Uniformierte den „Kurzen“, Guzmán, mitsamt dem Chef seiner Leibwache aus einem roten Ford Focus zogen, war ein halbes Jahr der Jagd vorüber. Inzwischen ist bekannt, dass der Kartellboss kurz nach seiner Tunnelflucht in einem Kleinflugzeug aus Zentralmexiko in seine Heimat gebracht wurde, ins „goldene Dreieck“ zwischen den Bundesstaaten Sinaloa, Durango und Chihuahua. Bergige, heiße Wüsteneien, in dem die Kartelle die Kontrolle ausüben. Nicht wenige Sicherheitsexperten hatten es für unmöglich gehalten, den Boss hier dingfest zu machen.


Suche nach Stadtresidenz. Doch im Oktober fanden ihn die Ermittler in einem einfachen Landhaus im Dorf Pueblo Nuevo im Staat Durango. Damals gelang dem „Chapo“ die Flucht durch eine Schlucht, die Verfolger setzten ihm per Helikopter nach, brachen den Zugriff jedoch ab, als sich herausstellte, dass Guzmán in Begleitung von zwei Frauen und einem Mädchen floh. Die Behörden wollten nicht den Tod Unschuldiger riskieren. Sieben Helfer Guzmáns konnten festgenommen werden, und einige gaben offenbar Hinweise, die letzten Endes den Ermittlern die Information einbrachten, dass „El Chapo“ nach einer Stadtresidenz suchte. Die Wahl fiel offenbar auf Los Mochis, eine 250.000-Einwohner-Stadt nahe der Küste Sinaloas, etwa 500 Kilometer nördlich von Mazatlán, wo der „Chapo“ im April 2014 nach 13 Jahren Flucht zum zweiten Mal gefasst worden war.

Los Mochis gehörte eigentlich nicht zum Feudum des Sinaloa-Kartells, in dieser Stadt ist vor allem das konkurrierende Beltrán-Leyva-Kartell aktiv. Auf die Spur nach Los Mochis führte die Überwachung eines Baumeisters, der schon mehrere Tunnel für das Kartell gegraben hatte. Verdeckte Ermittler folgten dem Mann in ein unscheinbares Haus in einem Wohnviertel und bemerkten die Präsenz von Männern und Waffen. Das Gebäude wurde nun Tag und Nacht observiert. Am Dreikönigstag registrierten die Überwacher verstärkte Bewegungen in dem Anwesen, bis am frühen Morgen des 7. Jänner ein Wagen vorfuhr, in dem die Fahnder ihre Zielperson vermuteten.

Flucht durch die Kanalisation. Am Morgen darauf griff die Marineinfanterie zu, die Behörden schickten gar dieselbe Einheit, die Guzmán schon im April 2014 festgenommen hatte. Um 4.40Uhr kamen die Soldaten an das Wohnhaus und wurden mit Gewehrfeuer empfangen. Das Wohnviertel mutierte zur War Zone, und als die Soldaten schließlich das Gebäude stürmten, waren fünf Gangster erschossen und ein Soldat verletzt. Sechs Verbrecher konnten festgenommen werden.

Aber einer fehlte: „El Chapo“, „der Kurze“, so der Spitzname des kleinen großen Mannes der illegalen Geschäftsfelder: Drogen, Waffen, Menschen schmuggelt das Sinaloa-Kartell, es beutet Prostituierte aus, erpresst und vertreibt Produktfälschungen. In über dreißig „Branchen“ sei Sinaloa aktiv, schätzt der UN-Experte Edgardo Buscaglia, die Drogen würden nur noch etwa die Hälfte aller Einnahmen des Syndikats bringen.

Die Fahnder fanden dann doch, was sie schon vermutet hatten: den Ausstieg in die Freiheit. In einem begehbaren Schrank endete der Fluchttunnel, der in die Kanalisation mündete. Doch dieses Mal hatten die Behörden auch die Unterwelt im Blick. „El Chapo“ und sein Sichheitsschef, Jorge Iván Gastélum Ávila, alias „El Cholo“ wurden in dem Rohrsystem gejagt, was sie schließlich dazu trieb, durch einen Kanaldeckel aufzutauchen und ein Auto aufzuhalten, in dem sie davonbrausten. Die letzten Minuten seiner Freiheit verlebte „El Chapo“ in einer Verfolgungsjagd auf der Landstraße, die ihr Ende an einer Straßensperre fand. Die Sicherheitsleute brachten die zwei Capos in das nahe gelegene Motel Doux. Es ist eines jener Etablissements, die ihre Zimmer stundenweise vermieten.

Hier musste „El Chapo“ also warten und dem Polizeifotografen Modell sitzen, bis der Abtransport organisiert war. Am Abend, kurz vor Mitternacht, checkte er wieder in El Altiplano ein, eben jenem Hochsicherheitsgefängnis, aus dem er im Juli entwischt war. Die Behörden versicherten, dass der Boden in Guzmáns neuer Zelle verstärkt worden wäre.


Karriere in Hollywood? Was aus dem Häftling Nummer eins nun werden soll, ist Topthema aller Diskussionen im Staat Mexiko. Die US-Justiz hat Anfang Juli seine Auslieferung beantragt. Mexikos Regierung hatte voller Nationalstolz diese Bitte überhört und stand drei Wochen später wie geleimt da. Nun, so spekulieren viele Kommentatoren, ist die Wahrscheinlichkeit einer Überstellung nach Norden gestiegen. Um die wütenden Amerikaner zu beruhigen, hatte Peña Nieto nach der Flucht des „Chapo“ mehrere hochkarätige Narcos ausgeliefert, darunter einen blutrünstigen Boss mit Beinamen „La Barbie“. Fraglich ist auch, was aus Guzmáns jüngstem Großprojekt werden kann, falls er tatsächlich in ein US-Gefängnis einrücken muss. Wie die Ermittler nach der Festnahme mitteilten, hatte „der Kurze“ Kontakt zu Filmproduzenten und wohl gar zu Schauspielern aufgenommen, um die Verfilmung seiner Saga anzuschieben, aber aus seiner Sicht.

Die USA sind nicht für großzügige Besuchszeiten bekannt, viele südamerikanische Narcos in US-Zellen haben seit Jahren keine Verwandten empfangen dürfen. Joaquín Guzmán Loera muss sich nun darauf einstellen, dass sich die Welt ohne ihn weiterdrehen könnte. Und dass andere das Drehbuch über seine Vita verfassen.

Zur Person

Joaquín Guzmán Loera wurde in den 1950er-Jahren in Sinaloa geboren.
Er wuchs auf einer Ranch auf und hat sechs Geschwister. Guzmán stieg zunächst als Logistiker für das Sinaloa-Drogenkartell ein und etablierte sich später als dessen Boss.

Schon 2001 gelang ihm die Flucht aus einem Gefängnis.

Am 22. Februar 2014 wurde Guzmán festgenommen. Am 11. Juli 2015 entkam er abermals – durch einen Tunnel. Am 8. Jänner 2016 endete die monatelange Jagd auf ihn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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