China und das Tabu der Homosexualität

LGBT-Aktivisten in China.
LGBT-Aktivisten in China.APA/AFP/Isaac Lawrence
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Erstmals wird ein Gericht über die Legalität gleichgeschlechtlicher Ehen befinden. Ein Großteil der Bevölkerung sieht Homosexualität "inakzeptabel".

Es sei ein „historischer Moment“, sagt Anwalt Shi Fulong: Erstmals in der Geschichte Chinas wird ein Gericht über einen Fall gleichgeschlechtlicher Ehe entscheiden. Am 23. Juni 2015 – ihrem einjährigen Jahrestag – hatten Sun Wenlin und Hu Mingliang bei einem Standesamt versucht, ihre Partnerschaft registrieren zu lassen. Vergebens. Eine Ehe könne nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden, erklärte der Standesbeamte in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan.

Der 26-Jährige Sun war anderer Meinung: Das chinesische Eherecht definiere die Ehe als Bund zwischen „Ehefrau und Gatten“. Es lege jedoch nicht fest, welches Geschlecht der jeweilige Partner haben müsse. Auch ein Mann könne sich innerhalb des Bundes mit dem weiblichen Part identifizieren, argumentiert Sun. Im Dezember brachte er daher Klage gegen das Standesamt ein. Wider Erwarten akzeptierte ein Bezirksgericht den Fall. Eigentlich hätte die Anhörung am Donnerstag stattfinden sollen, sie wurde jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die Entscheidung muss jedenfalls binnen sechs Monaten fallen. Anwalt Shi bezweifelt zwar, dass das Urteil positiv ausfällt. Alleine die Tatsache, dass sich ein chinesisches Gericht mit dem Fall beschäftigen wird, ist beachtlich. „In China weisen Gerichte politisch sensible Fälle oft zurück. Die Annahme der Klage signalisiert eine gewisse Bereitschaft, die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) anzusprechen“, sagtdie „Human Rights Watch“-Mitarbeiterin Maya Wang.

„Bekehrung“ durch Elektroschocker

Immer offener kämpft die LGBT-Gemeinschaft in China für ihre Rechte. Bis 1997 galt Homosexualität im Reich der Mitte als Verbrechen, bis 2001 als mentale Krankheit. Verbesserungen sind jedoch spürbar. So organisierte „Blued“, Chinas Dating-App für Homosexuelle, gemeinsam mit dem Internetgiganten Alibaba im vergangenen Jahr einen Wettbewerb, bei dem zehn gleichgeschlechtliche Ehepaare Trauungen mit anschließender Hochzeitsreise in Kalifornien gewinnen konnten.

Dennoch halten sich soziale Stigmata hartnäckig. Jeder zweite Chinese erachtet Homosexualität als inakzeptabel, zeigt eine Umfrage des US-Forschungsinstituts „Pew“. Der Druck kommt häufig aus dem eigenen Freundes- und Familienkreis. Ehen mit einem lesbischen oder schwulen Partner bleiben oft der einzige Ausweg. So kann der Schein vor Bekannten gewahrt werden, während beide Ehepartner geheim in einer anderen Beziehung leben. Die beschämten Verwandten sind zu vielem bereit. Jüngst deckte eine Dokumentation die grausamen Praktiken illegaler „Bekehrungskliniken“ auf. Eltern blättern tausende Yuan hin, damit ihren Kindern durch Elektroschock- und Arzneitherapie die „anormale“ sexuelle Orientierung ausgemerzt wird. Schmerz und Drogenerfahrungen sollen die Zuneigung zum gleichen Geschlecht in Abscheu verwandeln.

Es sind diese Vorurteile, die Sun mit seinem Vorstoß aus der Welt räumen will. „Ich hoffe, dass Schwule oder Lesben nicht als Freaks angesehen werden, wenn sie Händchen haltend auf der Straße gehen“, sagt er. „Wir sind genauso normal wie jeder andere.“

("Die Presse"-Printausgabe, 29.1.2015)

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