Absprung aus dem Salafismus

Dominic Musa Schmitz
Dominic Musa SchmitzHans Scherhaufer
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Als unsicherer Teenager fand er Halt im radikalen Islam, war aktiv in der salafistischen Szene, doch Jahre später stieg Dominic Musa Schmitz aus – und spricht nun offen darüber.

Der Bart ist ab. Nur noch ein bisschen Flaum ist geblieben. Es ist nur eine Äußerlichkeit, doch sie ist ein Zeichen für den Wandel, den Dominic Schmitz durchgemacht hat. Oder auch Musa, wie er mit seinem islamischen Namen heißt. Der 28-Jährige war Salafist, lebte eine besonders dogmatische Form des Islam, in der weltliche Freuden wie Musik tabu sind und deren Richtschnur allein der Koran und die Sunna, also Überlieferungen über den Propheten Mohammed, sind. Eine islamistische Parallelwelt, wie sie Schmitz heute bezeichnet. Eine Welt, aus der er den Ausstieg geschafft hat. Und über die er nun ein Buch geschrieben hat, in dem er seinen Weg zum Salafisten und retour schildert.

Am Beginn steht ein typischer Teenager, der seine Rolle in der Welt noch nicht gefunden hat, der auf der Suche ist. Nach Sicherheit, nach Anerkennung, nach etwas, was ihn aus der Tristesse holt. Da waren seine Eltern, die sich trennten, als er fünf war, der Umzug in einen kleinen Ort, in dem er die Rolle des Außenseiters innehatte, noch dazu, weil er etwas mollig war. Dann folgte die Wandlung zum Coolen, der kiffte, Hip-Hop mochte und in der Schule keinen besonders großen Ehrgeiz zeigte. Wenig Hoffnung, keine Zukunft, das waren seine Konstanten. Und irgendwo da wurde er plötzlich abgeholt. Sein Freund Rachid, der für ein Jahr in seine Heimat Marokko gegangen war, erzählte ihm nach seiner Rückkehr von seiner Religion. Er hatte sich mit dem Islam beschäftigt, lehnte Drogen und Musik ab, wollte, wie er sagte, ein gottgefälliges Leben führen.


Licht am Ende des Tunnels. Und Rachid beließ es nicht bei sich selbst, er wollte auch seinen Freund Dominic auf diesen Weg bringen. In eine Welt, die dem damals 17-Jährigen fremd war. Ja, er war katholisch, doch eigentlich hatte er mit Religion nicht allzu viel zu tun gehabt. Doch plötzlich hatte er das Gefühl, ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, einen Weg aus dem, wie er es nennt, Lotterleben. Er stürzte sich auf Bücher über den Islam, befasste sich mit dem Koran – und irgendwann im Sommer 2005 nahm ihn Rachid mit in die Moschee.

Und da saß er nun. Umgeben von Männern in weißen Gewändern, die ihn freundlich begrüßten. Die beteten, lange Gespräche führten – und ihm zuhörten. Auf einmal fühlte er sich ernst genommen, wertgeschätzt – „als würde all der Dreck meines früheren Lebens von mir abfallen“. So wollte er auch leben. Irgendwann gab er dem leichten Drängen der Männer nach, die meinten, er solle doch konvertieren. Und sprach das islamische Glaubensbekenntnis – auf Arabisch und Deutsch.

(c) Econ Verlag

Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, dass die Mönchengladbacher Moschee, in der er gelandet war, in den kommenden Monaten und Jahren zu so etwas wie einer Hochburg des deutschen Salafismus werden würde. Hier verkehrte unter anderem Sven Lau, der unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht – und der im Dezember 2015 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sogar verhaftet wurde. Irgendwann lernte er auch Pierre Vogel kennen, den wohl bekanntesten deutschen Salafistenprediger. Der interviewte Dominic für ein Video zu seiner Konvertierung, das er dann auf YouTube stellte. Vogel war es auch, der ihm seinen islamischen Namen gab – Musa, die arabische Form von Moses, so sollte er künftig heißen.

Für den Teenager war es ein schönes Leben. Schule, Arbeit, Familie, all das war plötzlich nicht mehr wichtig. In der Gemeinschaft der Männer aus der Moschee fühlte er sich wohl. Und er bekam schließlich auch eine Aufgabe – er sollte mithelfen bei der Missionierung. Und so, wie er es schon bei Lau und Vogel gesehen hatte, startete er mit Videos auf YouTube. Musa Almani, unter diesem Namen verkündete er seine salafistische Botschaft. Und wurde so zu einem der wichtigsten Propagandisten der Gemeinschaft.

Und er genoss es, in der Öffentlichkeit plötzlich beachtet zu werden. Das Kopfschütteln der Menschen, die ihn in seinem weißen Kaftan durch die Straßen ziehen sahen. „Die Reaktionen machen dich stolz und wütend zugleich. Du fühlst dich wohl in der Rolle des Außenseiters. Ein Rebell.“

Einige Zweifel stellten sich dann aber doch ein. Das Leben in Enthaltsamkeit, solange man nicht verheiratet ist, etwa. Was ihm schwere Gewissensbisse verursachte, wenn er mit seiner Freundin doch intim wurde. Jene Freundin, die ihm zuliebe sogar ein Kopftuch trug. Und die sich nach einiger Zeit dann doch von ihm trennte. Schließlich heiratete er eine Frau, die er vorher gar nicht gekannt hatte – und die ihm auch gar nicht gefiel. Aus Gottgefälligkeit, er wollte ein guter Muslim sein. Eine Ehe, die zwei Kinder hervorbrachte, jedoch keinen der beiden glücklich machte.

Und dann war da noch etwas: Zunehmend wuchsen Zweifel in dem jungen Mann, was das freie Denken betrifft. „Du darfst doch selbst denken, solang du nicht dem Islam widersprichst“, sagten ihm seine Glaubensbrüder. Doch zunehmend fühlte er sich eingeengt, konnte viele der dogmatischen Lehren nicht mehr nachvollziehen. Fühlte sich deswegen richtiggehend krank. Irgendwann war es so weit, er begann wieder zu kiffen. Interessierte sich wieder für Musik, die ihm so lange verboten war. Und doch sollte es dauern, ehe er tatsächlich den Absprung schaffte. Wie ein Drogenabhängiger, der Rückfälle erleidet, zog es auch ihn immer wieder in die Moschee. Dauerte es, bis er den Brüdern, die mit der Zeit immer radikalere Ideen vertreten hatten, endgültig den Rücken kehrte.


Hass auf den Aussteiger. Es überrascht nicht, dass seine früheren Freunde nicht begeistert waren. Als „Wischiwaschi-Muslim“ bezeichneten sie ihn, beschimpften ihn, sogar Bedrohungen waren dabei. Vom Islam wollte er sich nicht lösen. Doch mit den „Steinzeit-Muslimen“, wie er sie nun nennt, wollte er nicht länger zu tun haben. Im Gegenteil, er besucht nun Schulklassen, um zu zeigen, wie die religiösen Verführer arbeiten. Tritt in Talkshows als Aussteiger auf – und hilft auch anderen beim Aussteigen aus der Szene. Im Grunde ist er glimpflich davongekommen – er war auch nie in Gefahr, plötzlich mit einer Waffe in der Hand in den Jihad zu ziehen. Ganz im Gegensatz zu manchem Freund, den er an den Bürgerkrieg in Syrien verlor. Heute, sagt er, geht es ihm wieder gut – und er ist „froh, dass der Albtraum vorbei ist“.

Buchtipp

Dominic Musa Schmitz: Ich war ein Salafist. Meine Zeit in der islamistischen Parallelwelt. Econ Verlag; 18,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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