Ägypten: Rom macht Druck auf Kairos Folterer

Feb 13 2016 Rome Italy A signpost against the current government in Egypt during demonstratio
Feb 13 2016 Rome Italy A signpost against the current government in Egypt during demonstratio(c) imago/ZUMA Press
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Italiens Regierung verlangt vehement Aufklärung im Fall des Studenten Giulio Regeni, der vor einem Monat allen Hinweisen nach von Ägyptens Staatssicherheit ermordet worden ist.

Kairo. Vor vier Wochen verschwand Giulio Regeni auf dem Weg zur Metro in Kairo. Tage später fand man seine übel zugerichtete Leiche in einem Autobahngraben am Stadtrand. Und obwohl Ägyptens Regierung das bisher kategorisch abstreitet, mehren sich die Hinweise, dass der italienische Doktorand von der Staatssicherheit zu Tode gefoltert wurde – wahrscheinlich über mehrere Tage lang.

Der Fall des jungen Wissenschaftlers empört nicht nur Italien, er brachte auch für viele Ägypter das Fass zum Überlaufen. In Kairo prügelte jetzt eine Menschenmenge einen Polizisten krankenhausreif, zog vor die Einsatzzentrale und skandierte „Dreckige Regierung, ihr seid Hurensöhne“. Der Beamte hatte einen 24-jährigen Taxifahrer mit Kopfschuss getötet, während beide über den Fahrpreis gestritten hatten.

Staat geht gegen Opferhilfe vor

Zudem demonstrierten mehr als 10.000 Mediziner gegen die ständigen Übergriffe von Polizisten in Krankenhäusern – eine der größten Unmutskundgebungen der Bevölkerung, seit Ex-Feldmarschall Abdel Fattah as-Sisi im Juni 2014 das Präsidentenamt übernommen hat.

Doch der Polizeiapparat zeigt sich wenig beeindruckt. Statt die Folterer zu stoppen, gehen die Sicherheitskräfte erstmals auch gegen das Nadeem-Zentrum zur Behandlung von Opfern von Gewalt und Folter in Kairo vor, der einzigen Hilfsadresse für Misshandelte im ganzen Land.

Nadeem-Mitbegründerin Aida Seif al-Dawla gilt als mutige Kritikerin von Menschenrechtsverletzungen. Seit dem Beginn der Arbeit ihrer Einrichtung 1993 habe es in Ägypten noch nie solche Zustände gegeben wie heute, sagt sie zur „Presse“. Die Brutalität der Folter habe extrem zugenommen. In den Gefängnissen gebe es „exzessive sexuelle Gewalt“ – gegen Frauen und Männer gleichermaßen.

Die Staatsschläger agierten ohne jeden Skrupel. Sie würden sich ganz offen ihrer Untaten brüsten – getragen von einem durch Medien und Regime aufgehetzten öffentlichen Klima, erklärte die Medizinprofessorin, die Psychiatrie an der Ain-Shams-Universität lehrt. „Wir werden euch die Luft zum Atmen nehmen“, habe ein Regimemitglied kürzlich gesagt.

Die zweite Autopsie in Italien ergab, dass dem zu Tode gefolterten Giulio Regeni die Ohren abgeschnitten, die Haut mit glühenden Zigaretten verbrannt, Finger- und Fußnägel herausgerissen, seine Genitalien mit Stromschlägen traktiert und mehrere Rippen und Finger gebrochen worden waren. Regeni starb einen langsamen, qualvollen Tod. Menschenrechtler sprechen von einem typischen Foltermuster der ägyptischen Staatssicherheit.

Präsident Sisi wird nervös

Innenminister Magdi Abdel-Ghaffar dagegen bestreitet, dass die Sicherheitskräfte verantwortlich sind. Man werde den Fall Regeni so behandeln, „als gehe es um einen Ägypter“. Und so versuchten seine Offiziere zunächst, das Ganze als Autounfall zu deklarieren. Wenig später sprachen sie von „einem gewöhnlichen Verbrechen“ und präsentierten zwei angeblich Verdächtige.

Kein Wunder, dass Rom dem Aufklärungswillen Kairos misstraut und eigene Ermittler an den Nil schickte. Ihnen werden bisher wichtige Erkenntnisse vorenthalten wie die Handydaten des Opfers. Auch rührte die ägyptische Polizei keinen Finger, um die Bänder von Überwachungskameras in der Nähe des wahrscheinlichen Entführungsortes sicherzustellen. Dagegen zitierten italienische Medien zahlreiche Zeugen, die gesehen haben, wie der 28-Jährige gegen 19 Uhr im Stadtteil Dokki von zwei Zivilpolizisten abgeführt wurde. „Sie haben ihn für einen Spion gehalten“, gaben zudem drei Beamte anonym gegenüber der „New York Times“ zu Protokoll. „Wer kommt schon nach Ägypten, um sich mit unabhängigen Gewerkschaften zu beschäftigen?“ Das Opfer studierte an der Cambridge Universität und war in Kairo, um Material für seine Doktorarbeit zu sammeln. Nebenbei schrieb er unter Pseudonym für die linke Zeitung „Il Manifesto“.

Das Wüten der Polizei scheint inzwischen auch Ägyptens Militärführung zu beunruhigen, sodass Präsident Sisi jetzt überraschend ein schärferes Gesetz gegen Polizeigewalt ankündigte. Ob das an den Missständen etwas ändert, ist fraglich. Italien jedenfalls will nicht lockerlassen. Die Zahl der italienischen Touristen ist um 90 Prozent zurückgegangen. „Wir wollen wissen, wer die wahren Verantwortlichen sind“, erklärte Italiens Außenminister Paolo Gentiloni. „Wir dulden keine Halbwahrheiten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2016)

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