Raumfahrt: Das Üben für den Mars beginnt

(C) Nasa/ ESA
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Wie Nasa und Europa in den 2030er-Jahren gemeinsam zum Mars fliegen wollen, erklärt Nasa-Raumflug-Chef William Gerstenmaier.

Es war einmal eine Ära, die viele Jahrzehnte währte und in der sicher schien, dass der Mensch (genauer: die Amerikaner) demnächst, bald, jedenfalls irgendwann eine Mondbasis bauen wird. Der englische Geistliche und Naturforscher John Wilkins (1614–72) sah das schon in „The Discovery of a World in the Moone“ voraus und wollte auch wissen, wie man dorthin könne: in einer Maschine, die bewegliche Flügel und Schwarzpulverexplosionen antrieben.

Seit wenigen Jahren ist gewiss, dass die Amerikaner auf den Lunar Outpost, wie die Nasa noch 2008 schrieb, verzichten. In der 2010 erneuerten Raumfahrtdoktrin wird dafür ein entfernteres Ziel gesetzt. „Die Nasa will die menschliche Präsenz tiefer ins Sonnensystem und zur Oberfläche des Mars ausweiten“, heißt es in der programmatischen Schrift „Journey to Mars“. Wie man das schaffen will, ja noch in den 2030ern, und wieso man den Mond als Etappe auslässt, erklärte William H. Gerstenmaier, Chef des bemannten Raumfahrtprogramms der Nasa, am Montag in der Wiener UNO-City vor Journalisten.

„Testgelände“ in Mondnähe

Gerstenmaier, der joviale Ingenieur, erläuterte ein Dreistufenmodell. Einfach gesagt: In der aktuellen „erdabhängigen“ Stufe eins arbeitet man in und mit der Internationalen Raumstation ISS, um sich Fähigkeiten für Langstreckenflüge anzueignen. In Phase zwei, ab 2018, wird das „Testgelände“ (proving ground) erschlossen, das ist der Raum bis zum Mond und seiner Bahn. Ab 2030 beginnt die „erdunabhängige“ Phase: der Eintritt von Menschen über den Mondorbit hinaus bis (vorerst) zum Mars; der ist mit aktueller Technik bestenfalls in einem halben Jahr zu erreichen.

„Alles beginnt mit der ISS“, so Gerstenmaier. „Dort sind sechs Menschen oder so, die allerhand Dinge tun und mit dem Ziel leben, herauszufinden, wie sich der Körper bei Langzeitaufenthalten im All verhält. Wir benützen die ISS, um herauszufinden, was es langfristig für große Probleme gibt. Es gibt allein etwa 33 medizinische, wie Knochenverlust, Verhaltensänderungen, Schwindel, Strahlung.“

Wichtige Systeme etwa bei Kommunikation und Lebenserhaltung werden für Langstreckenerfordernisse ausgebaut: „Die Lebenserhaltung in der ISS, Recyceln von Wasser, Sauerstofferzeugung funktioniert, aber braucht Ersatzteile und Material von der Erde und wird recht regelmäßig kaputt. Von der ISS können sie zur Not binnen Stunden zur Erde. Vom Raum um den Mond dauert es Tage, bei einem Marsflug Monate.“ Folgt: Die Systeme müssen autark werden.

Fürs „Testgelände“ und darüber hinaus baut Lockheed Martin die kegelförmige Kapsel Orion nach dem Layout der Apollo-Schiffe der 1960er/70er, die für vier (eventuell sechs) statt drei Insassen Platz hat und mit neun Kubikmeter bewohnbaren Volumens um die Hälfte größer ist. Eine Orion umkreiste 2014 die Erde. 2018 wird sie von den neuen Schwerlastraketen SLS (Space Launch System) gestartet – und erstmals in Kombination mit dem Servicemodul, dem unabdingbaren Segment, das Klimaanlage, Lebenserhaltung, Vorräte und Antrieb enthält.

Transatlantisches Paar im All

Dabei wird das Ausmaß internationaler Kooperation sichtbar: Das Servicemodul baut Europas Airbus-Konzern, wohl in Bremen, es ist eine Variante des Raumfrachters ATV, der die ISS versorgte. „Es ist falsch, Orion als etwas rein Amerikanisches zu betrachten: Es ist auch europäisch“, so Gerstenmaier.

Das transatlantische Paar soll beim Erstflug 2018 unbemannt den Mond umkreisen. Gegen 2023 dann bemannt – und das fortan einmal im Jahr. In der Orion kann die Crew 21 Tage am Stück sein (es gibt ein Klo), weshalb ein oder mehrere große Deep-Space-Habitate, quasi Wohnmobile, um den Mond platziert werden. Damit wird die ISS abkömmlich, deren Betrieb ab 2024 fraglich ist. Wenn 2026 ein Roboter von einem erdnahen Asteroiden einen Felsen aufnimmt und im Mondorbit parkt (Asteroid Redirect Mission), wird der von den Astronauten untersucht und bearbeitet. 2029 sollen sie ein Jahr lang um den Mond fahren. Dann hofft man, für den Marsflug gerüstet zu sein. Er dauert samt Aufenthalt und Rückkehr wohl 500 bis 1100 Tage, wobei der Flug im Habitat (Mars Transit Vehicle) verbracht wird; viele Notwendigkeiten für die Astronauten auf dem Mars, etwa Unterkünfte und Vorräte, haben Raumfrachter schon zuvor angelandet.

Ein Datum für die große Reise will Gerstenmaier, der das Risiko „hoch“ einschätzt, nicht nennen. Sowieso sei eher der Weg das Ziel: All die technischen und ökonomischen Neuerungen seien auch auf Erden bedeutsam, ganz abgesehen von der „Inspiration“, die das Ziel vermittle. „Da sind Benefits, die man nicht beziffern kann und teils kaum fassbar sind. Kosten-Nutzen-Rechnung versagt. Manches ist emotional und symbolisch. Und wie bewertet man reines Wissen?“

Kommt doch eine Mondbasis?

Übrigens: Europas Raumfahrtagentur ESA und ihr Chef, Johann-Dietrich Wörner, haben zuletzt die Idee eines Lunar Village, einer Mondstation, neu aufgewärmt. China will das sowieso. John Wilkins könnte mit seiner alten Vorhersage also doch recht behalten.

ZUR PERSON

William H. Gerstenmaier (geboren 1954 in Akron, Ohio) ist Luft- und Raumfahrtingenieur mit deutschen Wurzeln und seit 1977 bei der Nasa. Er arbeitete im Konnex mit dem Spaceshuttle, war Operationsmanager für Shuttle/Mir und die Raumstation ISS; seit 2005 ist er als Associate Administrator Chef des bemannten Raumfahrtsektors der Nasa. [ Nasa ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2016)

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