Nuklearmedizin: Globale Versorgungskrise bei Radio-Isotopen

(c) AP (Fred Chartrand)
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Reaktor in Kanada, der ein Drittel des Weltbedarfs an Isotopen für Diagnostik deckt, fällt bis Jahresende aus.

OTTAWA.Weltweit stehen medizinische Einrichtungen in den kommenden Monaten vor einem riesigen Problem: Aufgrund technischer Probleme in einem kanadischen Kernreaktor droht ein Engpass bei der Versorgung mit bestimmten radioaktiven Isotopen. Der National Research Universal Reaktor (NRU) in Chalk River, 180 Kilometer westlich von Ottawa, produziert mehr als ein Drittel des globalen Jahresverbrauchs.

Eigentlich wurde der NRU im Mai nach einem Stromausfall abgeschaltet. Dann fand man, dass radioaktives „schweres Wasser“ (es dient zur Kühlung) austrat und in einen Fluss rann. Mehrfach wurde der Zeitplan für die Reparatur des 52 Jahre alten Reaktors verlängert. Diese Woche räumte Kanadas Atomenergiebehörde ein, dass der NRU nicht vor Ende 2009 wieder in Betrieb gehen wird. Jean-Luc Urbain, Leiter der kanadischen Vereinigung für Nuklearmedizin, sprach von einem „nationalen und internationalen Desaster“.

Bildgebende Diagnostik

Chalk River stellt vor allem Molybdän-99 und Technetium-99m her. Das wird für die bildgebende Methode der „Szintigrafie“ benötigt; dabei werden radioaktiv markierte Stoffe in den Körper gebracht, die sich im Zielorgan (etwa Schilddrüse oder Niere) anreichern und mit einer Kamera, die die Strahlen auffängt, sichtbar gemacht werden.

Die Krise könnte sich zuspitzen, weil am 18. Juli in den Niederlanden ein weiterer der weltweit nur fünf Reaktoren, die solche Isotope produzieren, zur Wartung abgeschaltet wird (die übrigen stehen in Belgien, Frankreich und Südafrika): Der „High Flux Reactor“ von Petten wird für einen Monat ausfallen, er deckt bis zu 30 Prozent des globalen Bedarfs.

Die Internationale Atomenergieagentur IAEO in Wien beobachtet mit Sorge den Ausfall des kanadischen Reaktors: „Dies ist eine ernste Störung der Lieferung von medizinischen Isotopen“, sagt Natesan Ramamoorthy, Direktor der Abteilung für physikalische und chemische Wissenschaften bei der IAEO, im Gespräch mit der „Presse“. „Man wird den Engpass rund um den Erdball spüren.“

Laut IAEO wird allein Technetium-90m jährlich in 30 Millionen Fällen bzw. 80 Prozent aller radiodiagnostischen Aufnahmen benutzt. Patienten, bei denen Krebsverdacht besteht oder die an Krebs erkrankt sind und Kontrolluntersuchungen benötigen, sind darauf angewiesen. Die IAEO hofft, dass in Kürze in Australien der „Opal“-Reaktor in Betrieb gehen kann, der einen Teil des Produktionsausfalls in Kanada ausgleichen könnte.

Vorratshaltung unmöglich

Molybdän-99 hat eine Halbwertszeit von 66 Stunden, Technetium-99m von sechs – somit ist Vorratshaltung unmöglich. „Wir versuchen, den Einsatz des vorhandenen Technetiums zu rationalisieren, indem wir zwei Schichten pro Tag und an Wochenenden arbeiten“, sagt Jean-Luc Urbain. Damit soll das Material so effektiv wie möglich eingesetzt werden. Kleinere Krankenhäuser in Kanada sagten aber radiodiagnostische Untersuchungen bereits ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2009)

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