Ein Königreich für einen Märtyrer

Ein Mädchen hält das Bild des Piloten Muath Kasasbeh, der vom IS lebendig verbrannt wurde.
Ein Mädchen hält das Bild des Piloten Muath Kasasbeh, der vom IS lebendig verbrannt wurde.Nasser Nasser / AP / picturedesk.com
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Der IS hat ihn lebendig verbrannt. Seither wird der Pilot Muath Kasasbeh in Jordanien als Held verehrt. Ein Besuch bei seinem Bruder, den eine Frage quält: Warum stürzte der Jet ab?

Jawad Kasasbeh wandert gedankenversunken über den Schulhof im jordanischen Bergdorf Ayy. Immer wieder räuspert er sich leise und schluckt, so als wollte er die Traurigkeit niederdrücken, die ihn an diesem Ort befällt.

Irgendwann zieht der 34-Jährige die Hand aus der Hosentasche und zeigt auf das Schild über dem Schuleingang: „Pilot Muath Kasasbeh“ ist dort zu lesen. Die Schule trägt nun den Namen seines Bruders. Seines toten Bruders. Auf die Schulmauer ist die Silhouette des Piloten aufgemalt, neben Kampfflugzeugen, aus denen kleine rote Herzen fallen. Im ganzen Königreich gibt es solche Denkmäler: Muath-Kasasbeh-Straßen, -Plätze, -Kreisverkehre, in Ayy auch einen Pilot-Muath-Kasasbeh-Supermarkt für Militärangehörige. Alles ist nach dem Mann benannt, den die Jordanier seit Anfang 2015 als Helden verehren, ja, überhöhen, von dem sie sagen, dass er für „den Islam und die Nation“ gestorben sei und dessen Schicksal ein Grund ist, warum die Terrormiliz IS hier keinen Fuß auf den Boden bekommt. Vorerst jedenfalls.

22 Minuten dauert das IS-Propagandavideo, das gegen Ende den Todeskampf der Geisel Muath Kasasbeh zeigt. Hochauflösende Bilder fangen aus zahlreichen Kamerawinkeln ein, wie der Pilot in einem Käfig steht, wie er bei lebendigem Leib verbrennt. Und dann noch einmal in Zeitlupe. In der perfiden Logik des IS sollten diese Bilder Schrecken und damit globale Aufmerksamkeit erzeugen. So lässt sich rekrutieren – und ablenken. Wenige Tage bevor die Terroristen das Internet im Februar 2015 mit dem Horrorvideo fluteten, hatte sie die Schlacht um das syrische Kobane verloren.

Jawad, der Bruder, sagt, er habe das Video nie gesehen. Dabei gab es kaum ein Entkommen. Die Bilder liefen in den Nachrichten auf und ab. Unzensiert. Hunderttausende Landsleute kamen in Sonderbussen ins kleine Ayy gerollt, um Anteil zu nehmen. Auch König Abdullah II. war da. Er herzte Muaths Vater, während Königin Rania die Witwe im Arm hielt. Denn die Kasasbeh-Familie zählt zu einem der alteingesessenen Stämme, die im traditionellen Jordanien immer ein Wörtchen mitzureden haben und ohne die sich dieses Land nicht verstehen lässt. Wo die königstreuen Stämme sitzen, wie hier in der Provinz Karak, gibt es kaum einen jungen Mann, der nicht für Geheimdienst, Polizei oder Militär arbeitet. Den König sieht man hier noch öfter und in noch mehr Variationen von den Plakaten lachen: jung im Sakko, älter in der Militäruniform – oder traditionell, mit rot-weißem Wüstentuch.


„Der Beste von uns“.
Jawad, der Bruder, sitzt im Empfangszimmer des Familienhauses, in dem das stuckverzierte Mobiliar silbern und golden glänzt. Der Raum ist nun eine einzige Gedenkstätte für den toten Bruder: In jeder Ecke stehen gerahmte Bilder von Muath, er und Jawad, sie sahen sich ähnlich. „Wir gingen gemeinsam zur Königlichen Luftwaffe“, sagt Jawad. „Er war wie ein Teil von mir.“ Nach Muaths Ermordung schmiss auch er seinen Job als Pilot hin. Nun ist er wieder Informatiker – und als ältester von vier Brüdern so etwas wie der Sprecher der Familie: Denn die Eltern haben den grausamen Tod ihres Sohnes nicht verkraftet. „Es geht ihnen schlecht: psychisch wie physisch.“

Auch Jawad sieht erschöpft aus. „Muath war der Beste von uns“, sagt er. Der kleingewachsene Mann mit dem Dreitagebart holt nun einen Pokal, der seinen Bruder als Jahrgangsbesten bei der Ausbildung als F-16-Kampfpilot ausweist. In so einer F-16 ist der 26-Jährige am 24. Dezember 2014, gegen 8 oder 9 Uhr morgens, nahe der syrischen IS-Hochburg Raqqa abgestürzt. Danach nahm ihn der IS gefangen. Ursprünglich hätte ein Freund von Muath den Kampfeinsatz fliegen sollen, sagt Jawad. Sein Bruder hatte jedenfalls ein „mulmiges Gefühl“. Kurz vor dem Flug plagten den gläubigen Piloten – „er ging immer in die Moschee“, wie sie im Ort stolz erzählen –Gewissensbisse: „Er fragte mehrere Geistliche, ob der Kampfeinsatz ,halal‘, also erlaubt oder doch ,haram‘, also verboten sei. Niemand hatte eine Antwort für ihn“, sagt Jawad, der damals selbst seine Zweifel am Krieg gegen den IS hatte.

Doch Muath Kasasbehs Ermordung ließ jordanische Zweifler am Krieg gegen den IS jedenfalls vorübergehend verstummen. Das ganze Königreich schrie nach Vergeltung. Zwei inhaftierte Terroristen wurden sofort gehängt, die Zahl der Luftschläge massiv erhöht. Doch mit der Zeit ebbte der Drang nach Rache ab und mit ihm die Zahl der Luftangriffe. Der Hass auf den IS blieb.

Dabei scheint Jordanien auf den ersten Blick eine leichte Beute für Jihadisten:wirtschaftlich angeschlagen, umgeben von kriegsgeschundenen Nachbarn wie Syrien und dem Irak, destabilisiert von Flüchtlingswellen: „Aber der IS wird hier keinen Fuß auf den Boden bekommen“, meint Musa Shteiwi, Direktor des Center for Strategic Studies in der Hauptstadt Amman. Das liege auch am Arabischen Frühling, dessen Folgen die Jordanier „sehr vorsichtig gemacht haben“. Niemand wolle hier Zustände wie in Syrien oder Libyen.

Es gab zwar Proteste. Aber erstens ging der König auf die Demonstranten zu, zweitens zielten die Kundgebungen nie auf den Monarchen, dessen haschemitische Familie zu den Nachfahren des Propheten Mohammed zählen soll. Shteiwi: „Das Staatssystem wird nicht herausgefordert.“ Auch nicht von den Muslimbrüdern, die sie hier absichtsvoll nicht verboten haben. Im religiös homogenen Jordanien (95 Prozent Sunniten) lässt sich auch nur schwer sektiererische Gewalt schüren. Und dann ist da noch der Geheimdienst, der zu den versiertesten der Welt zählt und seine Einflüsterer auch in den Moscheen hat, wo die Regierung den Imamen nahelegt, welche Themen sie in der Freitagspredigt anschneiden sollen. „Wir brauchen jedenfalls keine Ratschläge aus Europa, wie mit Extremismus umzugehen ist“, sagt ein Regierungsbeamter.

Vor Anschlägen ist man deshalb nicht gefeit. 1500 Jordanier sollen für den IS kämpfen. Und vor wenigen Wochen wurde in Irbid eine Terrorzelle ausgehoben. Ein Polizist starb. Er wird nun auch als Held gefeiert, bekommt nun auch seine Straßen und Plätze.

„Etwas lief schief.“ Nachrichten über Anti-Terror-Einsatze wie in Irbid reißen die Kasasbehs aus ihrer Trauer: „Überall werden dann Querverbindungen zum Schicksal meines Bruders gemacht“, sagt Jawad. Das Telefon läutet noch öfter. Aber der Bruder kann ohnehin nicht loslassen, solange er nicht eine Antwort auf die Frage bekommt, über die überall getuschelt wird: Warum stürzte Muaths Jet ab? Der IS behauptete, ihn abgeschossen zu haben. Doch dafür fehlten wohl die Waffen. Jordaniens Behörden erklärten knapp, ein Defekt sei schuld gewesen. Die Familie habe versucht, an den Bericht zu kommen, sagt Jawad. „Aber sie geben ihn nicht heraus. Irgendetwas lief da schief.“ Er glaubt, dass Muaths F-16 von einem anderen Flugzeug abgeschossenwurde. Von wem, weiß er nicht. Aber er habe gehört, dass der IS auch aus der Luft versorgt worden sei.

Auf dem Schulhof in Ayy hat man alles im Blick, die Dorfstraßen, durch die Bauern ihre Ziegen treiben, an klaren Tage sogar das Tote Meer. Jawad zeigt auf ein weißes Gebäude: „Dieser Saal wurde auch für meinen Bruder gebaut.“ Er heißt, natürlich, Muath Kasasbeh. Das Haus ist ein Veranstaltungsort, ein Treffpunkt. „Aber nicht für Hochzeitsfeste!“, sagt Jawad. Der Nachsatz ist ihm wichtig. Ausgelassene Feiern passen nicht zum Schicksal des Mannes, dem der Ort gewidmet ist.

DER FALL

Jawad Kasasbeh, Bruder des Piloten.

Absturz. Die F-16
von Muath Kasasbeh stürzte am
24. Dezember 2014 nahe Raqqa in Ostsyrien, der „Hauptstadt“ des IS, ab. Der jordanische Kampfpilot landete mit dem Fallschirm in einem See. IS-Kämpfer nahmen ihn gefangen.

Verhandlungen. Mehr als einen Monat verhandelte Jordanien über einen Gefangenenaustausch von Kasasbeh gegen Sajida Rishawi: Die al-Qaida-Terroristin aus dem Irak war nach den Anschlägen auf Hotels in Amman 2005 festgenommen und zum Tod verurteilt worden.

Video. Am 3. Februar veröffentlichte der IS ein Video, das zeigt, wie Kasasbeh in einem Käfig lebendig verbrannt wird. Jordanien gibt an, er sei schon am 3. Jänner getötet worden, also während noch um seine Freilassung verhandelt wurde.

Vergeltung. Einen Tag nach Veröffentlichung des Videos wurden Rishawi und ein zweiter Terrorist erhängt. Streihammer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2016)

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