Die Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze hat begonnen. Am Dienstag lief alles friedlich ab. Journalisten kritisierten den Ausschluss von Medien während der Aktion.
Athen. Mehr als zwei Monate wartete man darauf – am Dienstag begann nun tatsächlich die Räumung des informellen Flüchtlingslagers Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze. Auf der ganzen Welt wird zwar davon berichtet, zugelassen im Sperrgebiet war am Dienstag aber nur eine einzige Kamera des griechischen Staatsfernsehens ERT.
Ein Großaufgebot von 1400 Polizisten wurde an die Grenze verlegt, seit Montagabend informieren Beamte die Migranten über die bevorstehende Aktion und beschildern die offiziellen Ersatzquartiere in Nordgriechenland in den buntesten Farben. Gleichzeitig haben sie die Journalisten und die Angehörigen von Hilfsorganisationen aufgefordert, das Lager zu verlassen. Die Mischung aus Zuckerbrot – in Form der im Vergleich zu Idomeni menschenwürdigen Quartiere – und der Peitsche der Polizeipräsenz zeigte offensichtlich Wirkung. Bis zum frühen Nachmittag fuhren die Migrantenbusse ohne die geringsten Probleme ab. Die Stimmung war völlig ruhig.
Wie die griechischen Medien allerdings schon am Montagabend berichtet hatten, packten viele Wirtschaftsflüchtlinge, etwa aus dem Iran und Pakistan, im Schutz der Dunkelheit ihre Sachen und schlichen zu Fuß aus dem Lager. Sie müssen mit Abschiebung rechnen, Asylanträge im neuen Eilverfahren bieten ihnen keinen Schutz. Sie werden daher auf dem griechischen Markt für Schwarzarbeit landen oder versuchen, auf anderen illegalen Wegen ins gelobte Mitteleuropa zu gelangen.
Nach Nationen getrennt
Am ersten Tag der Räumung wurden vor allem Syrer und Kurden, die in Äckern neben der zentralen Zufahrtsstraße lagerten, weggebracht. Die Bahngleise bis zum hochgezogenen Grenzzaun auf der mazedonischen Seite werden in den nächsten Tagen geräumt. Wie der Sprecher des Koordinationsausschusses für Flüchtlinge, Giorgos Kyritsis, am Dienstag neuerlich erklärte, soll die Aktion mehrere Tage dauern. Das Lager wird in Abschnitten und getrennt nach Staatszugehörigkeit der Flüchtlinge geräumt.
Die Aussperrung der Journalisten rief scharfe Reaktionen in den Medien hervor, sie sehen die Pressefreiheit in Gefahr. Tatsache ist jedoch, dass Flüchtlinge und NGOs in der Vergangenheit gerade bei Anwesenheit von Kameras wilde Protestaktionen starteten. Findige Medienvertreter fanden Möglichkeiten, die Aussperrung zu umgehen. Eine Journalistin verkleidete sich als Flüchtling. Im Lauf des Tages wurden – neben den Aufnahmen von ERT – auch Luftbilder der Polizei gesendet, die einen geordneten Ablauf der Aktion zeigten.
Symbol für eine Sackgasse
Nachdem Mazedonien Ende Februar auf Druck der Nachbarländer seine Grenzen für durchreisende Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten schloss, wurde das Lager von Idomeni zum Symbol für die Sackgassen der europäischen Flüchtlingskrise. Während die zeitweise bis zu 12.000 Lagerinsassen im Schlamm versanken und davon träumten, dass die Grenze aufgehe, verschärften immer mehr europäische Staaten ihre Asylpolitik.
Auch die Verteilung der Migranten aus Griechenland in andere europäische Staaten ist bisher gescheitert. Dennoch kann das Mittelmeerland nun gelassener als Anfang des Jahres für die Verbesserung der Lagerinfrastruktur sorgen. Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die aus der Türkei übersetzen, hat drastisch nachgelassen. Statt der befürchteten 100.000 Flüchtlinge halten sich in Griechenland zur Zeit nur 54.000 auf.
Neben Idomeni ist die Lage vor allem auf den Ost-Ägäis-Inseln Lesbos und Chios kritisch. Auf ihnen befinden sich zurzeit 6500 Migranten, Lagerinfrastruktur ist allerdings nur für 4600 vorhanden. Ein Teil der Lager besteht aus „geschlossenen Strukturen“, allen Zuwanderungswilligen ist ein Verlassen der Inseln verboten. Ein Pulverfass, dass leicht explodieren kann.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2016)