Deutschlands kleiner Babyboom

Vor allem in Metropolen wie Berlin gibt es mehr Geburten.
Vor allem in Metropolen wie Berlin gibt es mehr Geburten.(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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So viele Geburten wie 2015 gab es seit 15 Jahren nicht mehr. Mitverantwortlich dafür sind Reformen in der Familienpolitik – und Frauen, die das Kinderkriegen aufgeschoben haben.

Berlin. Es waren so viele wie seit 15 Jahren nicht mehr. 738.000 Babys vermeldete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag für das Jahr 2015. Das ist eine Steigerung um 23.000 oder 3,2 Prozent. Gerade in Deutschland, das mit einer der schlechtesten Geburtenraten weltweit zu kämpfen hat, wird das mit großer Euphorie aufgenommen. Noch dazu, weil das Hoch kein statistischer Ausreißer ist, sondern einem Trend folgt, der sich seit einigen Jahren abzeichnet.

Schon vergangenen Dezember hatte das Bundesamt einen statistischen Wert auf einem neuen Rekordniveau gemeldet – die sogenannte Geburtenziffer war 2014 zum dritten Mal in Folge gestiegen und lag damit auf dem höchsten Wert seit der Wiedervereinigung. 1,47 Kinder betrug sie damals. Der Wert selbst errechnet sich daraus, wie viele Kinder eine Frau im Lauf ihres Lebens bekommen würde, wenn ihr Geburtenverhalten wie jenes aller Frauen im gebärfähigen Alter – zwischen 15 und 49 Jahren – im betrachteten Jahr wäre.

Dass sich die Zahlen in den vergangenen Jahren so positiv entwickelt haben, führt Sebastian Klüsener unter anderem auf Maßnahmen der Politik zurück: „Die großen Reformen, die 2007 eingeführt wurden, und der Ausbau der Kinderbetreuung scheinen ihre Wirkung zu entfalten“, sagt der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für demografische Forschung. So wurde damals das Elterngeld eingeführt, das vom Nettoeinkommen abhängig ist. Es soll Eltern helfen, die wegen der Betreuung eines Kindes nicht oder nicht voll erwerbstätig sind. Gleichzeitig wurde die Betreuung von Kindern unter drei Jahren massiv ausgebaut und gefördert.

Dass solche Maßnahmen automatisch zu mehr Geburten führen, lässt sich allerdings so nicht ableiten. „Derartige Reformen wirken oft nicht direkt, sondern eher mittelfristig, auch durch soziale Interaktionseffekte“, sagt Klüsener. „Wenn im sozialen Umfeld viele Eltern gute Erfahrungen mit dem Kinderkriegen machen, beeinflusst das auch eigene Geburtenentscheidungen.“

Im Osten Deutschlands gibt es dabei kontinuierlich höhere Geburtenraten als im Westen. Was auch historische Gründe hat. So sei die Kinderbetreuung im Westen lang durch Kirchen geprägt gewesen – und deren Angebot war vor allem halbtags. „Auch sind Normen, dass es sich nicht schickt zu arbeiten, wenn das Kind noch klein ist, weiter verbreitet als im Osten“, meint Klüsener. „Gerade in der westdeutschen Industriegesellschaft hat sich das männliche Ernährermodell länger gehalten, das Frauen eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwerte.“

Frauen, die wegen der Karriere ihren Kinderwunsch nach hinten schoben, sind nun mitverantwortlich dafür, dass es wieder aufwärtsgeht. Es sind vor allem besser Gebildete, die sich mehr Zeit gelassen haben. Dafür bekommen nun mehr von ihnen Nachwuchs – nur eben mit Verzögerung. So liegt das durchschnittliche Alter der Mütter bei der ersten Geburt im Schnitt nun bei 29,5 Jahren.

Mehr Todesfälle als Geburten

Doch bei aller Freude über steigende Geburtenzahlen hat Deutschland immer noch ein demografisches Problem: Es gibt mehr Todesfälle als Geburten. 2015 starben 925.000 Menschen – um 6,5 Prozent mehr als im Jahr davor. Lediglich die Zuwanderung sorgt dafür, dass die Bevölkerung des Landes nicht schrumpft – dadurch, dass Menschen ins Land kommen. Aber danach auch, weil sie insgesamt eine höhere Geburtenziffer als die Deutschen haben. 2014 lag sie für Mütter mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei 1,86 Kindern – bei deutschen Müttern bei 1,41.

Das Problem mit zu wenigen Geburten hat allerdings nicht nur Deutschland, die wenigsten europäischen Länder schaffen es, das sogenannte Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern zu erreichen. So viele Kinder müsste eine Frau im Schnitt bekommen, damit die Bevölkerung – ohne Zuwanderung – nicht altert und schrumpft.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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