Burma: Ein Land in Angst vor dem Rückschritt

 Ma Thida
Ma Thida(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit Jahren kämpft die Autorin Ma Thida für mehr Demokratie in ihrem Land. Doch selbst nach dem historischen Machtwechsel unter Aung San Suu Kyi hält das Militär seine Macht.

„Die Erfahrungen im Gefängnis veränderten mein Leben“, sagt Ma Thida. Ohne Gerichtsverfahren und teils schwer krank büßte die Birmanin von 1993 bis 1999 in einer Einzelzelle. Den Mund ließ sie sich selbst in Haft nicht verbieten. „Ich war eine ziemlich schlimme Gefangene“, scherzt die Ärztin und Autorin. Das war wohl mit ein Grund dafür, dass sie die Zeit so schadlos überstand – und überraschend nach fünfeinhalb Jahren entlassen wurde.

Eigentlich hatte die Militärjunta in dem südostasiatischen Staat Ma Thida zu 20 Jahren Haft verurteilt: Als Weggefährtin Aung San Suu Kyis war die junge Frau 1988 mit Zehntausenden für mehr Demokratie auf die Straßen gezogen.

Auf 36 Kilo abgemagert und von ihrer Tuberkulose-Erkrankung gezeichnet, sah die heute 49-Jährige einmal keinen anderen Ausweg mehr, als in Hungerstreik zu treten: Die Gefängniswärter hatten ihre Medikamente beschlagnahmt. Die Dissidentin könnte Selbstmord begehen und für negative Schlagzeilen sorgen, fürchteten sie. Im Endeffekt reichte Ma Thidas Streikdrohung. Nach kurzer Zeit gaben die Beamten klein bei. „Mein Liebes, du bist frei. Aber wir nicht“, sagte die Gefängnisaufsicht damals zu ihr. Es sind Worte, die sie nie vergessen wird.

Zu hohe Erwartungen

Auch heute noch sei ihr Kampf für Demokratie nicht zu Ende, sagt die Herausgeberin von zwei Magazinen. Nach einem halben Jahrhundert Unterdrückung durch das Militär gewann im November die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi haushoch die Parlamentswahl. Seit April ist die neue Regierung im Amt. Doch viele Burmesen fürchten, dass die Armee die Herrschaft wieder an sich reißen könnte, erklärt Ma Thida. „Das könnte passieren, da sie weiß, wie sich Macht anfühlt.“

Mehr als hundert Tage nach dem historischen Regimewechsel spüre die Bevölkerung noch immer keine merkliche Veränderung. Das Militär hat in der Verfassung von 2008 vorgesorgt: Ein Viertel der Sitze im Parlament steht den Streitkräften zu. Sie kontrollieren mit Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium die Schlüsselinstitutionen im Staat – und den gesamten Verwaltungs- und Polizeiapparat. Zudem bleibt Suu Kyi laut Gesetz das Präsidentenamt verwehrt, sie lenkt nun als Außenministerin die Geschicke des Landes.

Trotz ihres geringen Handlungsspielraums versuche die Zivilregierung, ihre Position zu stärken, indem sie das Militär bei gewissen Entscheidungen umgehe, sagt Ma Thida. So habe das Kabinett im April Dutzenden politischen Häftlingen Amnestie gewährt, ohne das Militär zu konsultieren. Auf lange Sicht müssten die beiden Seiten aber zu einer Einigung kommen, um das Land zu befrieden. Das werde nicht leicht: „Die Armee hasst die NLD und Suu Kyi seit Jahren.“

Doch das Militär könne gegenwärtig nicht für alle Probleme verantwortlich gemacht werden. Suu Kyi, die für ihren Aktivismus selbst 14 Jahre unter Hausarrest stand, habe die Forderungen der Zivilgesellschaft bisher weitgehend ignoriert, meint Ma Thida. Auch die teils gewalttätigen Konflikte mit ethnischen Minderheiten wie den muslimischen Rohingya gehe die 70-Jährige nicht aktiv an: „Für Menschen an der Macht sind diese Probleme unbedeutend.“ Trotz wachsender Kritik setze ein Großteil der Menschen in Burma seine Hoffnung weiterhin auf die „Lady“, wie sie genannt wird – mit viel zu hohen Erwartungen an Suu Kyi.

Sehnsucht nach Armeediktat

Ma Thida ist überzeugt: Der einzige Weg, um das Land zu verändern, sei bessere Bildung zu ermöglichen. „Nach 50 Jahren Diktatur sehnen sich die Menschen förmlich nach dem Diktat der Armee.“ Jahrzehntelang habe das Militär die Bevölkerung manipuliert, kritisches Denken unterdrückt. Heute noch ist Zensur an der Tagesordnung, freie Meinungsäußerung wird unterbunden. „Die Menschen betrachten die Armee als Schutzzone. Nur wer Macht habe, könne Sicherheit garantieren.“

Nach dem politischen brauche es daher einen gesellschaftlichen Wandel. „Wir haben unser Zugehörigkeitsgefühl verloren.“ Da der Staat sich nicht um die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmere, handelten auch die Menschen nicht für das Wohl der Nation. Sie sorgten sich nur um ihr engstes Umfeld. Nicht Suu Kyi sei der wichtigste und verantwortungsbewussteste Mensch in diesem Land, erkläre Ma Thida daher in ihren Literaturzirkeln. Jeder Einzelne müsse Verantwortung übernehmen. „Du gehörst zum Staat, der Staat gehört zu dir“, sage sie daher oft. „Das ist unser kollektiver Traum.“

ZUR PERSON

Ma Thida saß wegen der Unterstützung für Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi fast sechs Jahre in Haft. Die 49-Jährige ist Präsidentin der Autorenvereinigung Pen International in Burma. Ende Juli veröffentlicht sie das Buch „Prisoner of Conscience: My step to Insein“ über ihre Gefängniszeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2016)

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